Vogelperspektive mit 007
Die Kunstforum-Schau „Landscape in my Mind“ lässt mit Großformaten Tiefenblicke erleben
Foto: Elger Esser, VG Bild
Das Auge wandelt auf Waldwegen, über schneebedeckte Gipfel, entzlang von Horizontlinien am Ozean und sogar über die Krater des Mars. Die Schau „Landscape in my Mind“ im Kunstforum erschöpft sich aber nicht in Naturaufnahmen, sondern führt die unterschiedlichen medialen Bildbegriffe heutiger Fotokünstler vor. Ein Gespräch mit Kurator Florian Steininger.
Falter: Die „schöne Landschaft“ ist ein Klischee. Was machen zeitgenössische Künstler damit?
Florian Steininger: Sie betrachten Landschaft vor allem als Imaginationsraum. Das heißt, sowohl der Künstler als auch wir sehen eine Projektionsfläche, die mit der Wirklichkeit nicht unbedingt etwas zu tun hat. Etwa das Motiv des Dschungels: Das wird mit Abenteuer, Tarzan und so weiter assoziiert, aber wenn man es in der Realität sieht, erscheint es vielleicht nur wie ein banales Gestrüpp. Es geht den Künstlern darum, mit der Fotografie Möglichkeitsräume zu schaffen – wie die Malerei auch.
Existiert nicht ein Zwang, die Bilder der Tourismusindustrie gegen den Strich zu bürsten?
Steininger: Ja, aber einige Fotografen haben trotzdem einen sehr romantischen Zug. Etwa Elger Esser, der ist eigentlich im 19. Jahrhundert zu Hause. Über seinen Arbeiten ist eine Art von Schleier, eine Tonigkeit, wodurch eine 1999 aufgenommene Situation wie von 1837 wirkt. Esser identifiziert sich mit der Romantik und den Pionieren der Fotografie. In der Phase des sogenannten Piktorialismus trat die Fotografie in einen Wettstreit mit der Malerei. Die Fotografie wurde damals als Unikat behandelt, teilweise koloriert oder mit einem Rembrandt-Sepia-Ton entwickelt.
Warum sind die meisten Bilder der Schau so groß?
Steininger: Bis in die 70er-Jahre betrachtete man die Fotografie weniger als Tafelbild an der Wand als im Folianten oder im Album. Jeff Wall war der Erste, der großformatige Farbaufnahmen in Leuchtkästen präsentiert hat, um der Fotografie einen Tableau-Charakter zu verleihen. Wir können so richtig in das Werk eintauchen, es hat einen Tiefenzug, wie wenn wir vor einem Gemälde stehen.
Von Andreas Gursky stammen einige der faszinierendsten dieser Art von Fotos. Welchen Stellenwert hat die Landschaft bei ihm?
Steininger: Gursky kommt von der soziologisch-dokumentarischen Seite der Düsseldorfer Becher-Schule und hat dann begonnen, die Globalisierung per se zu thematisieren. Dafür nimmt er einen exklusiven, distanzierten Blick auf die Welt ein. Seine Perspektive ist wie vom Flugzeug oder vom Satelliten aus. Es geht weniger um bestimmte Situationen als um Strukturen, etwa wenn er in einem Fußballstadion die Massen thematisiert.
Was hat es mit seinen Bildern von Inselgruppen in der Schau auf sich?
Steininger: Es handelt sich um die „James Bond Islands“, die 007 im Film „Der Mann mit dem goldenen Colt“ überfliegt. Bei Gursky gibt es einen Bezug zur Geburtsstunde der Landschaftsmalerei im frühen 16. Jahrhundert, als Malern wie Patinier oder Altdorfer sogenannte „Weltlandschaften“ geschaffen haben.
Gursky komponiert seine Bilder nachträglich noch am Computer. Welche Rolle spielt der Gegensatz von analog und digital?
Steininger: Gursky arbeitet seit den frühen 1990er-Jahren digital, er verwendet auch Found-Footage-Material oder konstruiert seine Bilder mit einer Art Collagetechnik. Er zweifelt den „So ist es gewesen“-Charakter der Fotografie an. Andererseits gibt es einen Kult des Analogen, wenn zum Beispiel Esser in der Plattenkamera das Nonplusultra sieht.
Der technische Zugang geht also immer noch weit auseinander?
Steininger: Ja, das analoge Lager sagt, das ist alles Handwerk, ich muss dabei sein. Auf der anderen Seite gibt es die Überzeugung: Im digitalen Zeitalter können wir all das Material, das wir wollen, sei es von Google Earth oder von der Nasa, nehmen und verarbeiten. Auch Jörg Sasse versteht sich nicht mehr so als Fotograf, sondern nimmt Amateurbilder aus dem Internet, die gepixelt sind. Dann geht es erst los, er abstrahiert oder koloriert, schmeißt Sachen raus, bis es seiner Meinung nach fertig ist. F
Kunstforum, bis 26.4.