Asphalt: eine Schau zum Weimarer Kino

Gerhard Midding
FALTER:Woche, FALTER:Woche 7/2015 vom 11.02.2015

Üblicherweise geben Filme eine klare Antwort darauf, wer erzählt. Für wen dies geschieht, lässt sich schwerer beantworten, ist aber ebenso der Frage würdig. Im Weimarer Kino der Jahre 1923 bis 1933 ist die filmische Erschließung des Urbanen ein wesentlicher Beweggrund für die Kamera. Aber wessen Schaulust wurde dabei stärker befriedigt, wer hatte das brennendere Interesse an der Erkundung dieses Terrains: das städtische Publikum oder das in der Provinz?

Vieles spricht für die zweite Möglichkeit. Selten besitzt die Großstadt in dieser heroischen Epoche Selbstverständlichkeit. Sie liefert Anlass zu Staunen und Faszination, auch zu Furcht und Abscheu. Ihre Mechanik, ihr geheimes Regelwerk müssen entziffert, übersetzt werden. Das elektrifizierte Labyrinth ist Resonanzraum und Gleichnis in einem. Das Leben trägt sich in schnellerem Tempo zu, die Wahrnehmungsfülle mutet oft bedrohlich an. Die Sinne sind aufs Äußerste gereizt. Die Straße erscheint als Ort der Anfechtung und Verlockung. Die Frauen genießen eine ungekannte soziale wie erotische Mobilität. Verheißung und Verdammnis liegen nah beieinander. Im Gegenzug werden dem Publikum ungeläufige Formen des Zusammenlebens vorgestellt: die drangvolle Enge der Pension in "Abschied"; das Arrangement der zwei Mietparteien, die sich in "Ich bei Tag und du bei Nacht" eine Wohnung teilen, ohne einander anfangs überhaupt begegnen zu müssen. Ludwig Bergers Komödie spielt schon in eine weitere Sphäre hinüber: die der urbanen Selbstvergewisserung. Die Menschen haben auch Freude daran zu entdecken, was sie und Ihresgleichen am Sonntag erleben. Die Stadt ist groß genug, sodass ihre Bewohner nur wenige Kilometer weiter fremden Welten inne werden können. Und es muss, wie Werner Hochbaums "Morgen beginnt das Leben" zeigt, nicht immer nur Berlin sein, in dem sich die Moderne als spannungsvolle Ungleichzeitigkeit offenbart.

Ab Fr im Österreichischen Filmmuseum

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