Ihr werdet schon sehen, wohin das alles führt!
Herr Professor, vor zwei Wochen schien die Welt noch in Ordnung", begann der Spiegel im Mai 1969 ein Interview mit Adorno, worauf dieser replizierte: "Mir nicht." Was damals eine coole Antwort war, ist längst ein Gemeinplatz geworden. Es gehört quasi zum guten Ton, die Welt nicht in Ordnung zu finden. Wie auch? Obwohl es in unseren Breiten noch nie so lange so friedlich zugegangen ist und Professor Pinker glaubhaft versichert, dass die Gewalt ganz generell nachlässt, scheint das Vertrauen darin, dass das auch so bleibt, doch enden wollend. Zeichnet jemand einen Cartoon, zündet ein anderer, der diesen nicht einmal zu Gesicht bekommen hat, einen Bezirk oder Kontinent weiter zumindest eine Fahne, wenn nicht eine Botschaft oder Kirche an.
Man muss aber erst gar nicht bis in die Banlieue gehen, um das Vertrauen in die moderierende Kraft der guten Sitten zu verlieren. Der Mittelstand selbst dreht seine Pirouetten auf sehr dünnem Eis. Nicht umsonst erfreut sich das Genre des mittelstandskritischen Kammerspiels à la "Gott des Gemetzels" oder "Frau Müller muss weg" großer Beliebtheit. Ein winziger Anlass genügt, schon bilden wir Hetzmeuten und kotzen in Kunstkataloge. Im Aufzug meines Wohnhauses hing dieser Tage ein Zettel, auf den jemand geschrieben hatte: "Bitte aufwaschen. Wir sind in der Zivilisation." Man muss nicht gerade mit allen Wässerchen der Sprechakttheorie gewaschen sein, um zu erkennen, dass der Satz Zweifel an der eigenen Behauptung artikuliert. Der Aufzugboden war ein bisschen feucht und wies zarte Schmutzschlieren auf.