Roadtrip, Identitätssuche, Doku-Mosaik: "Titos Brille"

FALTER:Woche, FALTER:Woche 10/2015 vom 04.03.2015

Adriana Altaras hat eine wechselvolle Familiengeschichte: Ihre Eltern, jugoslawische Juden, kämpften als Partisanen unter Tito, bevor sie in den 1960er-Jahren nach Deutschland auswanderten. Adriana wuchs großteils getrennt von ihnen auf. Nach ihrem Tod mit geerbten Super-8-Filmen und Erinnerungsstücken ausgestattet, fühlt sie sich von den Geistern der Vergangenheit verfolgt. "Titos Brille" von Regina Schilling, der auf dem gleichnamigen Roman Altaras' beruht, ist das Porträt einer Aufarbeitung.

Die Schauspielerin, Regisseurin und Autorin unternimmt einen Roadtrip zu den Orten und Menschen, die mit ihren Eltern verbunden waren. Sie ist Kommentatorin, Interviewerin, jüdische Witze erzählende Unterhalterin und eine Frau auf der Suche nach ihrer Identität. Sie spürt den Heldenlegenden ihrer Familie nach, der Beziehung und Flucht ihrer Eltern, besucht das KZ auf Rab, das Großmutter, Mutter und Tante überlebten.

Was dem hochgradig persönlichen Dokumentarfilm Distanz verleiht, ist nicht nur der schwarze Humor, mit dem die Protagonistin sich ihrer Familiengeschichte nähert, sondern auch die Ambivalenz, die Altaras' Identität prägt: Sie macht die quirlige Frau undurchschaubar, ungreifbar, mitunter provokant. Verbunden mit dem Versuch, Geschichte und Gegenwart möglichst breit abzubilden, gerät "Titos Brille" zu einem rastlosen, wenig fokussierten, aber kurzweiligen Doku-Mosaik.

An den Schluss stellt Schilling einen vielsagenden Kunstgriff: Ihre Bilder gleichen sich den alten Super-8-Filmen an, die "Titos Brille" durchziehen. Die Gegenwart verwandelt sich in ein zukünftig Gewesenes, das das zentrale Thema des Films in sich trägt: Inwiefern schreibt sich die Vergangenheit in der nächsten Generation fort?

Ab Fr im Votiv (OmU)

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