T. C. Boyle swingt das Gartenbaukino

Feuilleton, FALTER 10/2015 vom 04.03.2015

Tom Coraghessan Boyle schreibt fantastische Geschichten. Mit abgründigen Charakteren, die der amerikanische Autor in aberwitzige Situationen treibt. Seine Bücher lesen sich wie doppelte Roadtrips. Es passiert richtig viel, immer auch führt die Reise ins Innenleben seiner Figuren.

Boyle kann als Vertreter der klassischen, angloamerikanischen Erzählliebe aber nicht nur üppige Plots entwickeln, er kann seine Texte auch richtig performen. Oder "darüber meditieren", wie er es letzten Donnerstag im Gartenbaukino nannte.

Dort las der 1948 geborene Autor vor vollem Haus aus seinem 25. Roman "Hart auf Hart". Darin geht es um Anarchisten und Waffenfanatiker, es sei eine "hairy-chested men story", leitet Boyle den Abend ein. Da spricht einer, wie er schreibt. Treffend, bildreich und immer am Punkt. Paradoxerweise erschien "Hart auf Hart" zuerst auf Deutsch, nicht auf Englisch, was dem Autor eine Lesetour durchs deutschsprachige Europa einbrachte. Und Wiens schönstem Kinosaal einen echten Kopfkino-Abend. Ohne bewegte Bilder, nur Wörter und Stimmen.

Boyles Stimme ist erstaunlich sonor für einen so schmächtigen, fast ausgezehrten Mann wie ihn. Er trägt im Stehen vor, ach was, er swingt, die linke Hand schnellt in die Höhe, als wäre sie sein heimlicher Taktstock. Sein Wortrhythmus oszilliert irgendwo zwischen Rap und Reggae, einem Leitmotiv zu Beginn des Buches, das die Protagonisten nach Costa Rica führt.

Boyle sollte man schon auf Englisch lesen, wenn man das nachspüren will. Die deutsche Übersetzung, von Dirk Stermann vorgetragen, hält nur wacker mit. "Ihr seid fantastisch! Das ist die beste Deutschstunde, die ich jemals hatte", bedankte sich der Autor. "The Harder They Come" erscheint Ende März.

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