Eigenansicht oder Selbstbeschau

Andrea Maria Dusl beantwortet knifflige Fragen der Leserschaft

Kolumnen, FALTER 11/2015 vom 11.03.2015

Liebe Frau Andrea,

auf Twitter entspann sich letztens unter intelligenten Freunden eine Diskussion über Autopsie. Die eine Fraktion meinte zu wissen, eine Obduktion hieße Autopsie (auto =selbst), weil man dabei ein Mitglied der eigenen Rasse sezierte. Dem entgegneten die anderen, Autopsie komme vom "eigenen Anschauen", nicht dem "sich selbst Anschauen". Wer hat da jetzt recht? Mit freundlichen Grüßen, per E-Mail, Thomas Fröhlich

Lieber Thomas,

im Bemühen um Begriffsdisziplin wollen wir unseren Sprachgebrauch justieren, wird doch "Rasse" in naturwissenschaftlichen Zusammenhängen nur noch für Haustiere und Kulturpflanzen verwendet. Und auch hier erodiert der Begriff zunehmend. Im Sinne der von Ihnen zitierten Fremdwortdeutung wollen wir von Spezies oder Art sprechen. Gehen wir nun in medias res. In einer idealen Welt wäre allen Teilnehmern am Diskursrund seit jeher eine umfassende und genaue Kenntnis des Griechischen und des Lateinischen eigen. Die Erzeugung neuer Begriffe und ihr Verständnis griffen seit jeher ineinander wie die Zahnräder einer gut gewarteten Maschine. Dem ist nicht so. Die Konfusion ist dabei eine doppelte. Manchmal werden und wurden Latinismen oder Gräzismen schlecht konstruiert, wesentlich öfter falsch verstanden. "Autopsie", vom griechischen Abstraktum autopsía, ist zusammengesetzt aus autós (selbst) und dem Verbalstamm op- (sehen). In unseren sprachlichen Breiten bildet es sich erst im 19. Jahrhundert, vermittelt über das französische autopsie heraus. Nach landläufigem Verständnis ist damit die gründliche medizinisch-pathologische Untersuchung einer Leiche gemeint, in der Regel, um die Todesursache festzustellen. Der Begriff ist indes weiter gefasst, benennt er doch jegliche genaue Untersuchung eines Gegenstandes oder Themas durch Augenschein. Gemeint ist der eigene Augenschein, also das Sehen mit eigenen Augen.

  334 Wörter       2 Minuten

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