Der befreite Blick
Der Fotograf Jewgeni Chaldej berichtete vom Ende des Zweiten Weltkriegs in Österreich aus sowjetischer Sicht
Auf dem Foto sieht man eine Gruppe von Rotarmisten über eine Hakenkreuzfahne marschieren. Im Hintergrund brennt ein Haus. Die dazugehörigen Bildunterschriften in sowjetischen Publikationen zum Zweiten Weltkrieg waren widersprüchlich: "Auf dem Vormarsch" lautete die eine. "Nach Deutschland" die andere. Oder schlicht "Österreich". Tatsächlich zeigt das Bild die sowjetische Armee im April 1945 in Kirchschlag in der Buckligen Welt. Was zählte, war der Propagandawert.
Es ist bei weitem nicht das berühmteste Bild des 1997 verstorbenen Jewgeni Chaldej, der vor genau 70 Jahren die Rote Armee bei der Befreiung Deutschlands und Österreichs von den Nazis begleitete und dabei Bilder schuf, die zu historischen Ikonen wurden. In seiner winzigen Wohnung im Norden von Moskau lagerte ein riesiger Fotoschatz. Es gab ein Bett, daneben zwei Vergrößerungsapparate, Fotoschalen, in der Ecke altargleich das Bild seiner kürzlich verstorbenen Frau, daneben Stalin in weißer Uniformjacke. In einem Regal standen mehrere Leicas, an der Wand hing ein Plakat mit Chaldejs wichtigstem Foto: dem Rotarmisten, der auf dem Berliner Reichstag die Siegesfahne aufpflanzt.