Zählen müssen wir alle erst lernen
Wie definieren wir Arbeitsstunden? Wie grenzen wir sie vom Leben ab? Häupl tut sich damit genauso schwer wie wir alle
Eine Wuchtel, die einen Nerv trifft, bleibt picken. Genauso war das mit der Wuchtel des Wiener Bürgermeisters bei der 70-Jahr-Feier der SPÖ vergangene Woche. "Wenn ich 22 Stunden arbeite, bin ich Dienstagmittag fertig": Dieser Spruch zielte auf eine der wichtigsten Konfliktlinien der modernen Arbeitswelt.
Auf der einen Seite arbeiten die Stundenzähler. Angestellte, deren Arbeitszeit von einem Chip oder einer Stechuhr kontrolliert wird. Diese Menschen heißen "Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer". Sie erledigen ihre Arbeit "in der Firma", wie man so schön sagt, bekommen Überstunden extra bezahlt, in der Regel mit Zuschlägen, und nennen es "Feierabend", wenn sie am Ende ihrer Schicht nach Hause gehen.
Auf der anderen Seite des Grabens arbeiten alle anderen. Politiker wie der Bürgermeister, Journalistinnen, Dönerbudenbetreiber und Nagelstudiobesitzerinnen, Berater und Maronibrater. Bei ihnen zählt nicht die Zahl der Arbeitsstunden, sondern das Ergebnis, und fertig ist man nie. Wir nennen diese Art zu arbeiten heute "atypisch", doch historisch gesehen ist sie eigentlich der Normalfall. Auch Jäger, Marktstandlerinnen, Bäuerinnen und Handwerker arbeiteten halt, solange es notwendig war.