Im Rollstuhl mit einem Palmbuschen

Hermes Phettberg führt seit 1991 durch das Kirchenjahr

Kolumnen, FALTER 18/2015 vom 29.04.2015

Derrick Ryan Claude Mitchell beging während dreier Tage sein "An Exemplary Case of Love Without Respite" ("Ein beispielhafter Fall von Liebe ohne Ruhepause"). An jedem dieser drei Tage ging Sir Ryan Mitchell bei Sonnenaufgang bewusst von der verlassenen, aber nun voller Kunstwerke befindlichen ehemaligen Semperit-Fabrik in Traiskirchen los und ging dann durch meine Grabnergasse über den Heldenplatz bis zum Stephansplatz Günter Brusens "Wiener Spaziergang" nach, begeht quasi wie Jesus Christus mit Palmzweigen behangen und mit viel Honig beträufelt, die Pegida-Bewegung verhohnepiepelnd, ein Fest, dass viele um Einlass bettelnde Persönlichkeiten sich als große Persönlichkeiten entpuppen könnten, wenn wir sie weise ließen. Mich schob im Rollstuhl und mit einem Palmbuschen in der Hand Sir Aram Haus.

Als Sir eze und ich die Aufmachung Ryan Mitchells in seiner jetzigen Liebesaktion in "unserer" Grabnergasse zum ersten Mal erblickten, waren wir baff: In einer alten Scheibtruchn auf einem eleganten schwarzen Satinpolster begeht ein Hase seine Totenruhe; der erschöpfte Ryan schiebt die Scheibtruchn vor sich her, vor den Bauch hat er lange Palmbuschen gebunden, seine Augen verdeckend, und Ryans Haut ziert Honig, Honig, Honig rundherum, mit Goldsplittern versetzt.

Als wir im Zentrum den vielen Fiakern begegneten, meinte der vorlauteste Kutscher: "Des is oba ned eier Ernst?" Als wir dann bei der Staatsoper vorbeigingen, sagte eine Dame zu einer anderen: "Oi, a Leich!" Ryan raunte dazwischen: "Es ist aber eine Hochzeit! A Marriage!"

Flotten Schrittes gelangte Ryans Palmprozession, vorbei an der Technischen Universität ins Freihaus-Gebiet, Wien 4., Schleifmühlgasse 1, in den Offspace Charim Events = Ryans "Golgotha".

Zwei Frauen nageln Ryan. Eine zieht Ryan seine Gewänder aus und schüttet ohne Ende Honig über Ryan, und die zweite tätowiert auf Ryans Brust "Liebe mich oder erschlage mich". Brian Lawlor komponiert eine komplette Symphonie, wert jeder Ö1-Minute, mit Klavier und Geigen, live gespielt von wunderbaren Musikern. Zuerst dachte ich, es sei Internetmusik, doch es war echte Klavier- und echte Geigenmusik am Werk.

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