Triebwerke
Peter Iwaniewicz zweifelt an der Theorie, dass die Liebe in der Natur auch die Liebe zur Natur fördert
Frühling: eine Zeit, in der wieder Säfte fließen und die Triebe sprießen. Das gilt aber nicht nur für Pflanzen, sondern auch für Menschen, weiß der Biologe Clemens Arvay und veröffentlicht dazu ein Buch: „Der Biophilia-Effekt – Heilung aus dem Wald“. Der Titel ist noch ein bisschen schlapp, aber die Presseaussendung kommt richtig zur Sache: „Statt ehelichen Stelldicheins im Stundenhotel oder Experimenten mit Handschellen empfiehlt Arvay Sex im Wald zur Auffrischung des Liebeslebens.“ Warum eignet sich gerade der Wald dafür? Die österreichische Sexfantasie vom Gefummel im Heustadl ist zu rustikal und von gestern. Denn: „Im Wald gibt es kein zu dick oder zu dünn, denn die Natur steht für Vielfalt“, weiß ein dazu befragtes Pärchen etwas orakelhaft über die sexualtherapeutische Wirkung des Waldes. Und die Evolution kommt auch zu Wort: „Schon unsere Ur-Ur-Ahnen haben im Wald Liebesnester gesucht, weshalb wir das als anregendes Vorspiel erleben.“ Dazu gibt es auch ein Video auf Youtube, in dem sich ein ebenso einsames wie weibliches Wesen seiner Kleidung entledigt. Beeindruckend und jugendfrei ist jedenfalls, wie raffiniert alle Geschlechtsmerkmale (der Frau) von diversen Pflanzen (nicht blühend) abgedeckt werden. Warum der Buchautor jedoch in angezogenem Zustand zu uns spricht, wird nicht erklärt.
Egal, ich begrüße grundsätzlich jede Form von Naturbegegnung. Und wer sich nackt am Waldboden wälzt, der wählt einen sehr intensiven Kontakt zu anderen Lebewesen. In jedem Liter Erde leben ungefähr zwei Regenwürmer, sieben Tausendfüßler, 14 verschiedene Insektenarten, 150 Milben, 200 Springschwänze (ja, die heißen im Deutschen so) und 50.000 Fadenwürmer. Und dann wären da in diesem Liter noch etwa 300 Millionen einzelne Einzeller, Algen, Pilze und Bakterien. Eine sicherlich geradezu orgiastische Erfahrung und ein befruchtendes Erlebnis.
Viktor Frankl, der Begründer der Logotherapie und Existenzanalyse, würde bei diesem Vorschlag von einer paradoxen Intention sprechen, also absichtlich das Problem zu empfehlen. Die meisten Menschen leiden unter diversen Naturphobien und bekommen schon Hautausschläge, wenn sie nur an einen Bruchteil der oben genannten Tierarten denken, wie sie sich in Poritzen und andere Hautfalten drängen.
P.S.: Nacktsamer (Gymnospermae) nennt der Botaniker aber nur die Nadelbäume.