Mamas bester Freund, der Tschick

Feuilleton, FALTER 21/2015 vom 20.05.2015

Es ist heute schwer vorstellbar, aber in meiner Schulzeit wurden noch Aschenbecher als Muttertagsgeschenke gebastelt. Am heurigen Muttertag rührte mich die vorletzte Folge der US-Serie "Mad Men" mit dem Schicksal von der glamourösen Kettenraucherin Betty Draper zu Tränen.

Über sieben Staffeln gehört die Zigarette untrennbar zu dieser kühlen Blondine von Hitchcock-Format, bevorzugt am Küchentisch, wo sie lieber raucht, als mit ihren Kindern zu essen . Selten wurde eine Rabenmutter im Fernsehen so differenziert gezeichnet wie Betty Draper. Wir lernen die Ehefrau des Werbetexters Don Draper 1960 kennen. Das von January Jones großartig verkörperte Ex-Model ist ein frühes Beispiel für eine "desperate housewife". Mit der lautstarken Hysterie jüngerer Vorstadtweiber hat sie aber nichts gemein: Diese Grace Kelly aus Suburbia regiert mit eisernem Lächeln. Durch die Kinder Sally und Bobby erfährt man, wie bitter es ist, von einer schönen und gescheiten Mutter ignoriert zu werden, weil sie voll enttäuschter Hoffnungen ist.

"Go watch TV", lautet der häufige Befehl an den Nachwuchs. Aber hinter der Fassade brodelt es. Um Dampf abzulassen, greift Betty schon einmal zum Gewehr: In einer herrlich-bösen Szene erschießt sie - den Tschick im Mundwinkel - die Brieftaube ihres Nachbarn.

Bettys Lieblosigkeit kann man feministisch deuten, von wegen kein Beruf und Patriarchat. Die "Mad Men"-Macher graben aber tiefer: Sie demonstrieren die narzisstische Leere ihres Königspaares Betty und Don, die mit ihrer Gier nach mehr stets über ihre Liebsten hinwegtrampeln. Es ist ihre rebellische Tochter, gegen die Betty am härtesten vorgeht. Da ist es dann schon ein Zeichen von Verständnis, wenn sie ihrem verpatzten Ebenbild eine Zigarette anbietet.

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