SING DICH FREI
In Wien formieren sich immer mehr Alternativchöre, deren Schlachtruf "Jeder kann singen" lautet. Und dann gibt es da auch noch die politische Message
Kurze Pause. Zischend werden Budweiser-Dosen geöffnet, Rotwein gluckert in Plastikbecher. Der Rauch ungezählter Selbstgedrehter hängt wie dichter Nebel in dem kleinen Kellerraum. Branislav, 48, Brane genannt, steht am Wuzzler. Ein Durcheinander von dunklen Haaren am Kopf, das schwarze T-Shirt klebt durchgeschwitzt an seinem Oberkörper. Eine Runde geht sich noch aus. Auf den abgewetzten Kunstledersofas in der Ecke drängen sich ein gutes Dutzend Frauen und Männer zusammen, rauchend, trinkend, durcheinanderredend. Zu ihren Füßen wedelt ein schwarzer Labrador. Fast alle tragen die gleichen T-Shirts: schwarz, mit einem roten Stern auf der Brust. Anstatt Hammer und Sichel drehen sich zwei Megafone aus seiner Mitte. Darunter steht in roten Lettern "Hor 29. Novembar".
Einige Minuten später schallt aus den offenen Kellerfenstern des Integrationshauses in der Leopoldstadt wieder lauter Gesang. Während drinnen 16 Männer und Frauen einen neuen Song anstimmen, ein paar Flüchtlingskinder begeistert mit dem Hund spielen und Jana, die Chorleiterin den Takt vorgibt, schaut ein älterer Mann durch die vergitterte Fensteröffnung. Offenbar scheint ihm die Melodie bekannt, doch der Text? Strahlende Gesichter, inbrünstiger Gesang, rhythmisch klopfende Füße zu einer österreichischen Hymne - in fremder Sprache. Der Mann geht kopfschüttelnd weiter, als im Keller Rainhard Fendrichs patriotischer Gassenhauer "I Am from Austria" übersetzt auf Romanes, die Sprache der Roma und Sinti, zu einem politischen Statement anschwillt.