Watchdog
Der Rohrkrepierer aus dem Sturmgeschütz
Der Spiegel ist das Sturmgeschütz der Demokratie, die Speerspitze des Investigativjournalismus. "Sagen, was ist", verkündete einst sein Herausgeber Rudolf Augstein. Wer den Spiegel kauft, der bekommt also investigative Qualität - und zwar nicht nur im Heft, sondern auch online, auf Spiegel.de
Umso erstaunlicher ist, wie das Blatt -das sein Wiener Büro schon vor Jahren schloss -vergangene Woche versagte. Die Oberstaatsanwaltschaft ermittle gegen unbekannt, weil der Kampusch-Entführer Wolfgang Priklopil möglicherweise ermordet worden sei. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass er erschlagen und sein Leichnam dann auf die Schienen gelegt worden sei.
Die Spiegel-Exklusivstory wurde breit zitiert, auch in Österreich. Doch die Mordthese wurde schon vor Jahren mehrfach widerlegt, wie die Akte zeigt. Es gibt die Aussage des Lokführers, der ausdrücklich davon spricht, wie sich "ein heller Schatten" auf die Schienen legte, und es gibt ganz eindeutige Obduktionsprotokolle.
All dies verschweigt der Spiegel. Stattdessen beruft man sich auf einen obskuren Polizisten und einen in eine Verschwörung vernarrten Höchstrichter. Das Sturmgeschütz der Demokratie hat sich im Fall Kampusch leider einen Rohrkrepierer geleistet.