„Wir sind altmodisch“

Theatermacher Manfred Michalke über sein buntes Ensemble, seine Methode und Geld

Martin Pesl
FALTER:WOCHE, FALTER 45/17 vom 07.11.2017

Foto: Igor Ripak

Das Wiener Vorstadttheater versteht sich seit 1994 als Integrationsprojekt für sogenannte Randgruppen. Sein Leiter Manfred Michalke stellt jährlich eine Theaterproduktion mit Menschen auf die Beine, die dem Kulturbetrieb eher fern sind, derzeit vor allem mit Geflüchteten. Profis wie der Musiker Harri Stojka oder die Werkstätten Art for Art unterstützen ihn. Während Michalke sonst aufgrund fehlender Subventionen viel zu klagen hat, gelang ihm heuer ein Coup: Zur Premiere von „Und sie legen den Blumen Handschellen an“ reiste der franko-spanische Autor Fernando Arrabal, eine der wichtigsten Stimmen des absurden Theaters, auf eigene Kosten an.


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Falter: Herr Michalke, wie lief die Premiere in Anwesenheit des Autors?

Manfred Michalke: Man muss sich vorstellen, der Mann ist 85 und hatte kürzlich einen Schlaganfall! Wir haben ihm mitgeteilt, wann die Premiere stattfindet, aber wir konnten ihm die Reise nicht bezahlen. Er kam eigens für die Premiere aus Paris, hatte seine Ärztin dabei und redete noch bis weit nach Mitternacht mit den Darstellerinnen und Darstellern. Für sie war das natürlich ein Höhepunkt. Diese Menschen proben zehn Monate lang viermal pro Woche je drei Stunden.

Andere Produktionen proben höchstens acht Wochen.

Michalke: Wir arbeiten quadratmillimetergenau. Wir üben handwerkliche Grundregeln immer und immer wieder. Wenn ein Blick auf die Wangenknochen des Gegenübers abgleitet, anstatt direkt in seine Pupillen gerichtet zu sein, wird die Probe sofort abgebrochen. Nur das gewährleistet eine professionelle Darstellung. Es ist auch eine Art Schauspielunterricht.

Kann man mit dieser Methode alle zu professionellen Schauspielern machen?

Michalke: Viele sind sehr talentiert, andere tun sich schwer. Mein Ensemble besteht aus gut 50 Leuten, die sich abwechseln. Die meisten haben schon bei mehreren Produktionen mitgespielt und vererben die Spielfreude teils sogar an ihre Kinder weiter, egal, ob sie aus Äthiopien oder dem Irak kommen. Sie machen gerne mit, weil der Hintergrund der Stücke den Mitspielenden stets vertraut ist: Es ist immer ein soziales oder politisches Anliegen.

Wirken die Darsteller auch an der Stückwahl mit?

Michalke: Die Stücke sind vorgegeben, meine Frau, Margaretha Neufeld, macht die dramaturgische Vorarbeit. Wir setzen jedes Jahr andere Schwerpunkte. Der Arrabal dieses Jahr lag nahe, weil in den syrischen Gefängnissen die gleichen Foltermethoden angewandt werden wie im Franco-Regime, das er beschreibt.

Gibt es Sprachbarrieren?

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Michalke: Wenn sich jemand auf Deutsch oder Englisch nicht gut ausdrücken kann, darf er es in seiner Muttersprache sagen. Das wird aber immer weniger. Mein Ensemble erwirbt immer bessere Deutschkenntnisse, und zwar auf hohem Niveau und mit breitem Vokabular. Das nutzt ihnen natürlich auch im Berufsleben.

Darf denn jeder mitmachen, der will?

Michalke: Nein, das Niveau ist erstaunlich hoch geworden. Von einem Laientheater kann man nicht sprechen. Wenn der ORF kommt und einen Beitrag etwa für „Heimat, fremde Heimat“ dreht, geht das immer sehr flott. Meine Darsteller berücksichtigen Regieanweisungen sehr genau, weil ihnen das Sicherheit gibt. Und sie sind nach Typ besetzt, denn gegen den Typ zu spielen, das können vielleicht vier Schauspieler auf der ganzen Welt.

Bekommen sie Geld für ihre Arbeit?

Michalke: Nur einen Unkostenbeitrag, der sich nach der Anzahl der Vorstellungen richtet. Sie machen das alle freiwillig. Und wir verlangen keinen Eintritt. Deshalb ist es auch schwierig, in Wien Subventionen zu erhalten.

Haben Sie es schon bei der SHIFT-Förderung probiert? Die richtet sich ja gezielt auf interdisziplinäre und partizipative Projekte.

Michalke: Ach, da braucht man Freunde, die das fördern. Und man gerät schnell in so einen Unterstützungsdschungel hinein, der mit Kunst nichts mehr zu tun hat.

Die schweigende Mehrheit, die Initiative von Tina Leisch und Bernhard Dechant, scheint einen ähnlichen Ansatz zu verfolgen.

Michalke: Die machen Events, die sich vom „Klischee“ des Theaters entfernt haben. Wir sind altmodisch. Wir machen Theater mit allem Drum und Dran, etwa einem Bühnenbild von Art for Art. Damit sich die Darsteller wohlfühlen.

Wie geht es jetzt weiter?

Michalke: Wir proben für 2018 „Frau Zucker“ von Monika Helfer. Das wird eine rein weibliche Besetzung. F

„Und sie legen den Blumen Handschellen an“:

VHS Polycollege Stöbergasse, Sa 19.30

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