"Sebastian Kurz hat eine Chamäleonstruktur"
Politologe Herfried Münkler über Talente und Schwächen des zukünftigen österreichischen Bundeskanzlers
Berlin-Mitte, Institut für Soziologie, ein Zimmer voller Bücherregale mit Fenster zum Innenhof. Hier lehrt der deutsche Politologe Herfried Münkler, streitbarer Intellektueller, gefeierter Buchautor und außenpolitischer Berater der deutschen Regierung. Der Falter bat ihn zu einem Gespräch über den voraussichtlichen neuen Bundeskanzler Sebastian Kurz, Österreichs Rolle in Europa und die Zukunft der Union.
Falter: Herr Professor Münkler, in Deutschland wird Österreich nach den Wahlen als Land mit radikalem Ruck nach rechts gesehen. Die FPÖ gilt als rechtsextreme Partei. In Österreich sieht man das nicht ganz so aufgeregt. Was ist da Ihrer Meinung nach am 15. Oktober 2017 passiert in Österreich?
Herfried Münkler: Ich neige natürlich zu einer gewissen Gelassenheit, weil die Republik Österreich seit bald einem Jahrhundert nicht mehr das Gewicht hat, das einstmals das Habsburgerreich hatte. Die Österreicher müssen selbst wissen, ob sie sich den Visegrád-Staaten annähern wollen und deren fünftes Mitglied sein wollen oder nicht. Man wird sehen, ob Heinz-Christian Strache jetzt wirklich Kreide geschluckt hat oder ob es nur eine Verstellung war. Aber der eigentliche Akteur ist ja die ÖVP, und ich glaube, dass Sebastian Kurz intelligent genug ist zu wissen, dass eine Politik, die antieuropäische Züge hat, letzten Endes auch das Gewicht Österreichs innerhalb der EU deutlich vermindern wird.