Buch der Stunde

Das Erbe des Urgroßvaters des Computers lebt

SEBASTIAN KIEFER
Feuilleton, FALTER 03/18 vom 17.01.2018

Seit Gottfried Wilhelm Leibniz' "Mathesis Universalis" träumten vernunftgläubige Optimisten davon, eines Tages werde man die Rationalität, Vollständigkeit und Widerspruchsfreiheit der Mathematik und letztlich der (Natur-)Wissenschaften überhaupt beweisen können, indem man sie auf eine Reihe logischer Axiome zurückführt. Der Traum schien Wirklichkeit werden zu können, nachdem Gottlob Frege im späten 19. Jahrhundert gezeigt hatte, wie Mathematik auf Logik zurückführbar war. Damit wurde Frege, wie der geistreich gutgelaunte Wissenschaftspopularisierer Georg von Wallwitz formuliert, zum "Urgroßvater des Computerzeitalters".

Dass Wallwitz die Geschichte des Traums von der Axiomatisierung aller Wissenschaften ausgerechnet am Beispiel David Hilberts nacherzählt, ist so gewagt wie originell: Der 1862 in Königsberg geborene Hilbert hatte zwar neben seinem Axiomatisierungsprogramm eine Fülle bis heute gültiger Theoreme entwickelt und entscheidend zur mathematischen Formulierung der Relativitätstheorie und der Quantenphysik beigetragen und war damit der einflussreichste Mathematiker der ersten Jahrhunderthälfte geworden.

Wie lassen sich Hilberts Leistungen aber Laien vermitteln? Wallwitz rettet sich öfters in Anekdotik und reduziert das Mathematische manchmal bis zur Unkenntlichkeit (oder schiebt es vorsichtshalber in Fußnoten); er bettet Hilbert jedoch so gekonnt in den Kontext jener Geschichte des Axiomatisierungstraumes und zugleich der Physik des 20. Jahrhunderts ein, dass das Unmögliche gelingt: Ein Geistesriese, der in doppelter Weise unvermittelbar scheint, wird anschaulich und menschlich anrührend im Kontext der Geschichte(n).

Kurt Gödel stellte später die Operationen, die wir mit Zahlen anstellen können, selbst als Zahlen dar. Das war ein entscheidender Schritt zur Entwicklung universeller Rechenmaschinen, mithin zum Computer. Wallwitz hat auf doppelt gewitzte Weise ein Unrecht unseres kollektiven Gedächtnisses korrigiert: Hilbert lebt, nur wussten wir nichts davon.

ANZEIGE

Fanden Sie diesen Artikel interessant? Dann abonnieren Sie jetzt und bleiben Sie mit unserem Newsletter immer informiert.

Diese Artikel könnten Sie auch interessieren:

Alle Feuilleton-Artikel finden Sie in unserem Archiv.

12 Wochen FALTER um 2,17 € pro Ausgabe
Kritischer und unabhängiger Journalismus kostet Geld. Unterstützen Sie uns mit einem Abonnement!