Enthusiasmus Kolumne der Superlative
Die beste alte Meisterin der Welt der Woche
In der Renaissance und im Barock waren erfolgreiche Künstlerinnen eine Seltenheit. Die Ausnahmefrauen, die trotz aller Widerstände Karriere machten, wurden von der Kunstgeschichtsschreibung jahrhundertelang ignoriert. Erst in den 1960er-Jahren begannen sich US-Forscherinnen für die links liegen gelassenen Meisterinnen zu interessieren.
Besonders viel Licht fiel seither auf das Werk von Artemisia Gentileschi. 1593 in Rom geboren, lernte sie das Malen von ihrem Vater Orazio; später war Gentileschis Kunst so gefragt, dass sie männliche Assistenten einstellte. Ihre Spezialität: starke Frauenfiguren aus Antike und Bibel, die in extreme Situationen geraten.
Bei der herbstlichen Altmeisterauktion des Dorotheums wurde nun Gentileschis herrliches Gemälde "Lucretia" um 1,6 Millionen Euro versteigert. Die römische Adelsfrau, die sich nach einer Vergewaltigung erdolcht, ist in dramatische Hell-dunkel-Malerei gefasst. Auch Botticelli und Tizian haben den Stoff aufgegriffen, bei Gentileschi gewinnt er durch deren eigene Biografie an Brisanz.
Als die Malerin noch keine 20 war, verging sich ihr Lehrer Agostino Tassi an ihr. Vor Gericht wurde die junge Künstlerin sogar mit Daumenschrauben gefoltert, um sie der Lüge zu bezichtigen. Gentileschi erreichte zwar eine Verurteilung, aber sie wurde das Drama nicht los. Bis heute erscheint kaum ein Text über ihre Gemälde, der die Bedeutung dieses Traumas nicht hervorheben würde.
Die jetzt an einen australischen Bieter verkaufte Heldin beweist, dass Gentileschis Malerei auch ohne crime story überzeugt. Wie der Spot das Gesicht erhellt, wie sie ihren nackten Busen zur Waffe dreht, die Finesse der gemalten Haut: Diese Lucretia mag als Poster-Girl der #MeToo-Bewegung dienen - und ist doch viel mehr.