Die Bürde der Würde
Francis Fukuyama kritisiert die linke wie die rechte Identitätspolitik und warnt vor der Verabschiedung des Nationalstaates
Kaum ein Intellektueller ist im ausgehenden 20. und beginnenden 21. Jahrhundert so oft und nachhaltig abgewatscht worden wie Francis Fukuyama für seine These vom "Ende der Geschichte". Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion hatte der US-Politologe den endgültigen Sieg der liberalen Demokratie marktwirtschaftlicher Prägung prophezeit, der nun die kommunistische Konkurrenz abhandengekommen sei. Er habe damit keineswegs die Stillstellung jeglicher geschichtlicher Dynamik behaupten, sondern lediglich seiner Überzeugung Ausdruck verleihen wollen, dass die Geschichte nicht in die klassenlose Gesellschaft des Kommunismus, sondern "in eine Form kapitalistischer, liberaler Demokratie" münden würde.
Als Fukuyama dies vor knapp drei Jahren in einem Interview mit der Zeit noch einmal beteuerte, hielt er die Wahl Hillary Clintons für wahrscheinlich, aber keineswegs für ausgemacht: "Man traut Hillary Clinton nicht. Es könnte gelingen, sie zu diskreditieren." Genau so ist es bekanntlich auch gekommen, und Fukuyama widmet dem Ereignis den ersten Satz seiner jüngsten Publikation: "Dieses Buch wäre nicht geschrieben worden, hätte man Donald J. Trump nicht im November 2016 zum Präsidenten gewählt."