Das beste Bücherregal der Welt der Woche

Feuilleton, FALTER 13/2019 vom 27.03.2019

Wohnt man an einem Ort, an dessen Wänden hohe, mit Büchern vollgefüllte Regale stehen, ist man ein glücklicher Mensch. Nichts anderes gibt einem Raum so viel Wärme wie tausende vollgeschriebene Blätter, die zwischen unzähligen Buchdeckeln unterschiedlichster Farbe und Größe geborgen sind. Davor zu stehen und den Blick über die Generationen von Werken streifen zu lassen, um dann zu entscheiden, welches nun das richtige für den jeweiligen Moment ist, erzeugt pure Freude.

Es gibt allerdings eine Form der Lagerung, die noch mehr fasziniert: den Bücherturm. Zugegeben, erwirbt man ihn, sieht er aus wie der Inbegriff eines seelenlosen Dings. Ein Metallsteher, an den im Abstand von etwa 20 Zentimetern schmale Ablagen angebracht sind. Ist das Gestell angefüllt, sind diese allerdings nicht mehr erkennbar. Über zwei Meter hoch liegt Buch auf Buch, wie zufällig übereinandergeschichtet und doch in einer seltsamen Stabilität, die der Stapel ohne den unsichtbar gewordenen Träger nicht erreichen könnte.

In einem horizontalen Regal ist das Umschlichten einfach. Man nimmt fünf, sechs, sieben Bücher auf einmal in die Arme, stellt sie auf den Boden, schiebt den Rest in die eine oder andere Richtung, ordnet wieder ein. Bei einem Bücherturm geht das nicht. Nur einzeln und ganz vorsichtig zieht man ein Buch aus dem riesigen Stapel.

Schweift der Blick über den Turm, erkennt man die Entwicklung der eigenen Lesegewohnheiten. Das Fundament bilden Albert Camus und Simone de Beauvoir aus Jugendzeiten, Michel Foucault aus Studientagen, dazwischen blitzt immer wieder Thomas Bernhard auf, Elena Ferrante erscheint, man versucht es mit Thomas Mann. Und so wachsen die Jahresringe des Bücherbaums weiter und weiter.

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