Im goldenen Schlamm
Ein Mega-Freizeitparkprojekt in Fertörákos am Neusiedler See gefährdet nicht nur die einzigartige Naturlandschaft des Steppensees, sondern belastet auch die österreichisch-ungarische Nachbarschaft

Foto: Barbara Tóth
Es gibt sie jetzt schon, jene Gäste, die den Neusiedler See mit dem Wörthersee verwechseln. Ein windiger Mittwoch Ende August. Sundowner-Stimmung im derzeit beliebtesten Lokal am burgenländischen Steppensee, dem „Fritz“ in Weiden am See am einst weniger schicken Ostufer. Hier senkt sich die Sonne im Cinemascope-Format über dem See, und Gastronom Fritz Tösch hat heuer eine weitere Lounge-Ebene ans Ufer gebaut, damit seine Gäste diesen Moment genießen können, ein Glas Aperol Spritz in der Hand, so glühend orange wie das Himmelsspektakel. Auftritt einer ganz in Weiß gekleideten Partie, zwei Herren, zwei Damen, vier Weingläser und eine gut gekühlte Flasche in der Hand. Sie klettern in ein elegantes Schnellboot am Ende der kleinen Marina vor dem Lokal, der Motor röhrt auf und schon sind sie außer Sichtweite am See, hinter sich eine schlammige Kielwelle.
An die sündteuren und nicht sehr ausdauernden Elektroschnellboote, die seit einigen Jahren über den nicht einmal zwei Meter tiefen See fetzen, haben sich die Badegäste inzwischen schon gewöhnt. Für sie ist der See vor allem eines: romantische Instagram-Kulisse, ein Hauch von Meeresstimmung in Mitteleuropa, nur eine knappe Stunde Zug- oder Autofahrt von der Metropole Wien entfernt. Für Regina Petrik ist jedes dieser Schnellboote ein Warnsignal für die „grassierende Goldgräberstimmung rund um den See“, wie die burgenländische Grünen-Chefin es nennt. Die Region im Dreiländereck Österreich, Ungarn und Slowakei erlebt seit einem knappen Jahrzehnt eine zweite Gründerzeit (siehe Falter 30/16).
Zuerst kamen die Foodies und Weinliebhaber und entdeckten die „Genussregion“ rund um den See mit ihren Haubenlokalen und preisgekrönten Winzern, 2004 eröffnete die „Mole West“ in Neusiedl am See und definierte den Seetourismus neu. Aus der Schlammlacke wurde ein Sehnsuchtsort, ein Meeressurrogat. Allein in Neusiedl am See wuchs die Bevölkerung binnen zehn Jahren um fast 30 Prozent, und damit stiegen die Grundstückspreise. Die Hälfte der burgenländischen Tourismuseinnahmen werden am See erwirtschaftet, im letzten Jahrzehnt waren es nahezu 20 Prozent mehr als davor. Es folgten Investorenprojekte, die sich gerne als Hotels tarnen, am Ende aber seltsamerweise oft Lofts im Eigentum mit Seeblick verkauften wie in Neusiedl am See. Und mit der Klientel, die sich diese Schmuckstücke, die selten weniger als eine Million Euro kosten, leisten können, die dazugehörigen teuren Elektro-Schnellboote.