"Es gibt antirassistischen Antisemitismus"
Der Schlagabtausch rund um die Documenta geht in die nächste Runde: Diesmal polemisiert Natan Sznaider gegen den modischen Postkolonialismus weltoffener Eliten
Foto: Heribert Corn
Es gibt wenige Figuren im geistigen Leben der Zweiten Republik, die auf eine derart abwechslungsreiche Vita zurückblicken können wie Oswald Wiener. Mitte der 1950er-Jahre befand er sich als jüngstes „Mitglied“ der Wiener Gruppe im Epizentrum der österreichischen Nachkriegsavantgarde zwischen Konkreter Poesie, bildender Kunst und Happening. Die Beteiligung an der Aktion „Kunst und Revolution“ am 7. Juni 1968, ihres Genital- und Fäkalanteils wegen auch „Uni-Ferkelei“ genannt, führte zu Gefängnisstrafen für Otto Muehl, Günther Brus und Oswald Wiener, der sich die beiden Letzteren durch Flucht nach Berlin entzogen.
Dort gründete Wiener mit seiner Frau Ingrid das legendäre Lokal Exil, in dem Vertreter der lokalen und internationalen Kunstwelt von David Bowie und Iggy Pop bis Helmut Newton und Martin Kippenberger ein und aus gingen. Von der Literatur, zu der er mit seinem alles andere als romanhaften Buch „die verbesserung mitteleuropas, roman“ (1969) einen wesentlichen Beitrag geleistet hatte, verabschiedete sich Wiener wieder, um sich forthin einer Synthese aus Kognitionswissenschaften, Kunst und Philosophie zu widmen.
Punktgenau an seinem 84. Geburtstag wird Wiener nun im Rahmen des Festivals „Gebenedeit sei die Wut deines Leibes“ aus der „verbesserung“ lesen – und zwar den Abschnitt „PURIM. Ein fest“. Das Stück besteht hauptsächlich aus elaborierten Regieanweisungen, die festhalten, wie die insgesamt 35 durchnummerierten und im Saal verteilten Schauspieler („es können auch weiber sein“) einzelne Personen im Publikum ebenso willkürlich wie systematisch verdreschen und misshandeln: „9 und 2 könnten im vorbeigehen gleich einen mitnehmen, der aussieht wie ein schriftsteller. dem werden mit einer bierflasche die jochbogen zerdroschen.“