Aus Verzweiflung und Hass wurde ein gutes Buch

Feuilleton, FALTER 9/2020 vom 26.02.2020

Mit 2,02 Metern Körpergröße ist der Grazer Thomas Raab laut eigenen Angaben der größte lebende Autor der Welt. Der Grenzgänger zwischen Literatur und Wissenschaft studierte Naturwissenschaften, arbeite mit Oswald Wiener und trägt die Berufsbezeichnung "Kognitionsforscher". Wenig überraschend sind seine Bücher, etwa der Roman "Verhalten" (2004), keine konventionellen Erzählwerke, sondern satirische Auseinandersetzungen mit literarischen Konventionen und Lesererwartungen. Zuletzt trat Raab als Herausgeber der "Neuen Anthologie des schwarzen Humors" hervor, die jene des Surrealisten André Breton fortschrieb.

Im Ritter-Verlag ist nun ein neuer Band des vom Literaturbetrieb viel zu wenig Wahrgenommenen erschienen. Im Nachwort benennt Raab, was die Arbeit an den durchwegs kurzen Texten befeuert hat: Hass und Verzweiflung. Entstanden sind sie über einen längeren Zeitraum als privates Gefecht, eine Publikation war zunächst nicht geplant. Gut, dass es anders kam, denn die Lektüre ist sowohl intellektuell anregend als auch ein Vergnügen der boshaften Art.

"Bobophon" folgt Großstadtbewohnern auf ihren Wegen und stellt ihnen - daher der Untertitel "Lehrfabeln" - das Verhalten von Tieren gegenüber. Im Eröffnungstext "Einzeller als Designer, verstanden" führt Raab in das Milieu ein. Biobäcker, Modeschöpferin, Netzdesigner oder Aktienmanager - sie alle haben eines gemeinsam: Nur wer sich ständig neu erfindet, bleibt konkurrenzfähig.

Man kennt diese Typen und erkennt sich zuweilen auch selbst wieder. Raabs Beschreibungen sind jedoch nicht bloß treffend und voll bösem Witz, ihnen wohnt eine tiefe Melancholie inne. Über den Netzdesigner, der gerade ein lukratives Projekt an Land gezogen hat, heißt es: "Er wird heute früh zu Bett gehen müssen, um morgen sein großes Unterfangen, dessen Remuneration ihm ein halbes Jahr Überleben sichern wird, in Angriff zu nehmen."

Bei aller Traurigkeit hilft nur eines: weitermachen! Dieser Imperativ gilt auch für Thomas Raab.

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