THEATER
Let's Talk About Death
Das Kollektiv Darum wandelt seine abgesagte Performance "Ausgang: offen" in einen Film um
Franz Kafka hätte seine Freude: Der Tod ist ein Gang in einem leeren Bürogebäude. Die Sterbende öffnet eine Tür nach der anderen, mit Aufschriften wie "Der Verlust" oder "Der Kreislauf". In den Räumen dahinter trifft sie auf einsame Gestalten, die sie in kurzen Monologen auf das Ende einschwören.
Das einstige Siemens-Bürogebäude in Wien-Favoriten hätte der neuen Performance des Kollektivs Darum eigentlich als Aufführungsort dienen sollen. Für "Ausgang: offen" war vorgesehen, dass Besucherinnen und Besucher einzeln durchgehen und pro Raum einem Menschen begegnen, der sich im Alltag mit dem Tod beschäftigt, etwa einer Bestatterin, einer Ärztin und einem Mann, der seine Mutter beim Sterben begleitete.
Corona-bedingt wurde das Projekt zum Film umkonzipiert, die Spielstätte zum Drehort. Die Perspektive der Besucherin übernimmt nun die Performerin Ruth Biller. Die Kamera ist nah an ihr dran, zeigt oft ihre Egoperspektive. Wie etwa im Film "1917" soll der Eindruck einer einzigen, ungeschnittenen Einstellung entstehen.
"Es ist nicht dasselbe wie die Eins-zueins-Live-Begegnung", räumt Victoria Halper ein. "Aber es erscheint uns als der beste Weg fürs Publikum, unseren Protagonisten nahezukommen." Um das Erlebnis zu verstärken, empfiehlt sie, den Film alleine in einem abgedunkelten Raum anzusehen. "Es ist der Film für die Heimisolation", ergänzt Kai Krösche. Am 20. Mai wird man ihn auf der Plattform nachtkritik.de streamen können.
Halper und Krösche bilden mit Laura Andreß das Kollektiv Darum. "Ausgang: offen" ist erst ihre zweite gemeinsame Arbeit. Die erste, "Ungebetene Gäste", wurde für den Nestroy-Spezialpreis nominiert und vom Falter zu einem der zehn Theaterhighlights 2019 erklärt. Das Thema Tod war bereits präsent: Für jede der fünf Aufführungen wurde die (vermeintliche) Biografie einer von der Stadt Wien ohne Angehörige bestatteten Person künstlerisch aufbereitet. Das Publikum fuhr geschlossen zum Zentralfriedhof und schenkte den Verstorbenen eine verspätete Trauerfeier.
Ob man dem Leben der anonymen Toten gerecht wurde, war dabei nie final feststellbar. "Diese Uneigentlichkeit finden wir spannend", erklärt Laura Andreß den Zugang. So spricht in "Ausgang: offen" zwar eine Spitalsärztin mit Schauspielerfahrung einen der Monologe, dieser enthält aber auch Aspekte aus Vorgesprächen mit anderen Ärzten. Die auftretende Bestatterin hat selbst kein Problem damit, mit einer Leiche allein zu sein, einige ihrer Kollegen aber schon. Deren Unbehagen fließt in ihren siebenminütigen Monolog ein. "Es ist keineswegs Fiktion, aber auch kein reines Dokumentartheater", so Andreß.
Seit Herbst 2018 hat Darum zahlreiche Recherchegespräche geführt. Kontakte zu knüpfen war mal leichter, mal schwieriger. Einen Protagonisten lernte die Gruppe im "Death Café" kennen, einer Veranstaltung in der Spanischen Hofreitschule. "Da gibt es Kaffee und Kuchen, und man plaudert über den Tod", erklärt Victoria Halper.
Bei Todkranken wurde es heikel mit dem "Casting"."Wir haben realisiert, dass wir alle Sterbende sind und dass es schwierig ist, einigen zu attestieren, sie seien sterbender", sagt Laura Andreß. Schließlich wurden sieben Personen ausgewählt, für die Filmversion kam ein elfjähriges Mädchen hinzu. Live wäre jeder Monolog pro Vorstellung 25-mal gehalten worden, denn 25 Karten lagen auf. Übrig geblieben ist für die Sprechenden je ein halber Drehtag nach Proben per Skype.
Umso mehr Arbeit hat das Kernteam. "Unsere Endprobenphase hat sich um drei Wochen verlängert", sagt Andreß erschöpft. Ihr Vater Ali Andress ist Kameramann und opferte für den Dreh kurzfristig einige Nächte Schlaf. Beim Falter-Besuch werkeln in einem Raum er, im anderen Bühnenbildner Johannes Weckl jeweils mit Mund-Nasen-Schutz einsam vor sich hin. Auf die Sicherheitsmaßnahmen achtet das Team nämlich penibel. Sogar fürs Foto nehmen die drei nur widerwillig ihre Masken ab.
Erst nach Drehschluss erfahren sie von der Pressekonferenz des Vizekanzlers und der Kulturstaatssekretärin, die am selben Tag mittags stattfand. "Es entstand ein mulmiges Gefühl", sagt Krösche später am Telefon. "Zahlen wir jetzt im Nachhinein Strafe?"
Ein Blick auf die Homepage der WKO bestätigte, dass das, was angeblich erst ab Juni geht -Proben oder Drehen mit Maske und Abstand -, eh schon jetzt erlaubt ist. "Dann haben wir uns einfach nur geärgert", so Krösche. "Aber so geht es ja gerade allen im Kulturbereich."