Ohren auf Eigenbrötler-Pop

Tanzmusik für Philosophie-und Kunstseminare

GERHARD STÖGER
Feuilleton, FALTER 19/20 vom 06.05.2020

Wenn alles Gute verschwinde, greife sie zur Musik von Grace Jones, singt L Twills auf ihrem Debüt "[Freedom/Fiction]" (Vinyl über Bandcamp erhältlich). Denn die bringe Hoffnung, wo sonst nur Angst sei. Was für eine wunderbare Liebeserklärung! L Twills heißt eigentlich Lila-Zoé Krauß, ist 1994 in Alice Springs geboren, in Hamburg aufgewachsen, hat in Deutschland und den USA Kunst studiert und sich autodidaktisch die elektronische Musikproduktion angeeignet, die sie mit einem ausgeprägt dem Eigensinn zugeneigten Songwriter-Ansatz kombiniert. Eighties-Sounds spielen eine Rolle, Atmosphären der tendenziell düsteren Art, Dekonstruktion, Lärmlust und Experimentierfreude, die aber nie Richtung Nervtöterei abbiegt. Digitaler Artpop trifft verhinderte Rockröhre: Alltäglich ist diese Kombination keineswegs - und gut obendrein.

Kunst-und Philosophiestudierende aller Geschlechter dürften auch an "Diven" (Staatsakt) ihre Freude haben, dem neuen Werk von Hans Unstern, der vielleicht schillerndsten Gestalt im deutschen Pop der vergangenen Jahre. Unstern, vollbärtig und genderfluid zugleich, spielt auf einer selbstgebauten Harfe und singt Texte, die je nach Sichtweise, Studienfortschritt und Grad der Nüchternheit vielschichtige poetische Meisterwerke oder aber ein ziemlicher Topfen sind. Wobei Unsterns Kunst-Schrull-Chansons nicht nur das Genderseminar rocken: Zumindest das Lied "Bonbons aus Plastik" sollte auch im Kindergarten für Momente des Glücks sorgen.

Ebenfalls eigen, aber ungleich geerdeter tönen River auf ihrem mit dem Bandnamen betitelten Debüt, das bei Wiens derzeit bestem DIY-Plattenlabel Cut Surface erschienen ist. Vier Menschen aus dem Münchner Musikuntergrund lassen ihrer Leidenschaft für die No-Wave-Ästhetik der frühen 1980er-Jahre überzeugend freien Lauf; repetitiv, geheimnisvoll und mit strengem Blick dem fidelen Rumpeldipumpel zugetan.

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