Tanz die Melanzani!

Performer Michikazu Matsune stellt Online-Hausaufgaben und zeigt ein Projekt bei den Festwochen

FALTER:Woche, FALTER:Woche 21/2020 vom 20.05.2020

Man nehme eine Frucht, zum Beispiel eine Melanzani. Man lege sie auf den Boden und versetze ihr einen Stoß. Beim Rollen filme man sie, als wäre sie die Hauptdarstellerin. Wenn man will, darf man sie anschließend noch essen. Weiter: Man ziehe sich etwas Schönes an und stelle sich unter die Dusche. Dort tanze man wie im Regen, auf Wunsch auch singend.

Bitte was? Es handelt sich hier um sogenannte Performance-Hausaufgaben, von denen Michikazu Matsune 20 auf einer Webseite versammelt hat. "Roll a Fruit" von Anna Paul und "Shower Dancing" von Deufert & Plischke sind Übungen, die der aus Japan stammende österreichische Künstler nach eigenen Angaben selbst regelmäßig vollführt. Versammelt sind sie alle, mit lakonisch knappen Anleitungen versehen, auf www.performancehomework.work.

"Kurz vor dem Lockdown herrschte eine Art Massenpanik, es kam zur Klopapierknappheit", erinnert sich Matsune. "Da fielen mir die Feldstecher aus Klopapierrollen ein, die mein Bruder und ich als Kinder gebastelt haben." Gleich am ersten Tag des allgemeinen Hausarrests entwickelte Matsune daraus die Idee zu "Performance Homework" und setzte in Kooperation mit dem Kunsthaus Graz die erwähnte Webseite auf. "Ich dachte mir, wenn ich schon nicht wie sonst vor Publikum auftreten kann, so könnte ich ihm doch Hausaufgaben geben, damit es sich seine eigenen Performances machen kann."

Anders als herkömmliches Schauspieltheater spielt sich das Genre der Performance oft auf einer Metaebene ab. Allein, dass etwas stattfindet und wir uns das bewusst machen, schafft schon einen performativen Charakter. "In unserer Gesellschaft ist alles performativ, bewusst oder unterbewusst", sagt Matsune. "Wir müssen daher unsere performativen Fähigkeiten ständig üben und weiterentwickeln."

Vor allem ist das Projekt von schelmischer Ironie geprägt. Matsunes eigener Beitrag nennt sich "Core Field Glasses". Darin geht es darum, die eigene Wohnung -und in weiterer Folge die Welt -durch Klopapierrollen hindurch mit neuen Augen zu sehen. Darüber hinaus bat der Künstler Kolleginnen und Kollegen aus dem Kunstund Performancebereich, eigene Arbeiten zum Nachmachen bereitzustellen. Manche der Aufgaben sind historische Fundstücke, eines stammt etwa von einem der wichtigsten Künstler der klassischen Moderne, Henri Matisse. Noch als er alt und krank war, zeichnete Matisse vom Bett aus Arbeiten an die Wand. Das Publikum soll es ihm nun gleichtun.

In Kobe geboren, zog Matsune Ende der 90er-Jahre nach Wien. Hier prägt er mittlerweile die Performanceszene mit oft sehr persönlichen Produktionen. Er reflektiert in ihnen die eigene Biografie, die eigene Arbeit, ohne dabei im Selbstreferenziellen steckenzubleiben. In "Dance, If You Want to Enter My Country" etwa geht es um die wahre Geschichte eines Tänzers, der am Flughafen die beruflichen Gründe für seine Einreise beweisen musste -und der Passkontrolle etwas vortanzte.

Auch in Österreich ist Matsune als Japaner heute gegen Rassismus nicht gefeit. Mehr als einmal wurde er auf der Straße "Corona" gerufen. Allerdings nimmt er solche Sprüche, wie er sagt, nicht ernst: "Interessanterweise zeigen Studien, dass der Virenstamm, der sich gerade in Japan ausbreitet, aus Europa und nicht aus China kommt. Dies ist eine weltweite Krise. Wir müssen aufhören, andere zu beschuldigen, und stattdessen zusammenarbeiten."

Auf die Corona-Krise wird Matsune in seiner Festwochen-"Geste" nur am Rande Bezug nehmen. Die Wiener Festwochen, die im Mai und Juni hätten stattfinden sollen und aufgrund der Pandemiemaßnahmen verschoben wurden, erinnern an jedes ihrer Projekte zum eigentlich geplanten Premierentermin (siehe Kasten). Michikazu Matsune wäre einer der wenigen österreichischen Künstler gewesen, die eine eigene Performance für die Festwochen entwickeln. Am 7. Juni zeigt er ein dreiteiliges Video, das sich inhaltlich aus seiner geplanten Arbeit "Mitsouko & Mitsuko" speist.

In dem Stück, das live nun 2021 stattfinden soll, verknüpft Matsune die reale Biografie der Diplomatengattin Mitsuko Coudenhove-Kalergi (Großmutter der bekannten Historikerin Barbara) mit der fiktiven Handlung eines erotischen Romans. Für die Videogeste spielt auch noch ein japanischer Stummfilmstar eine Rolle, der in Hollywood stets Bösewichter verkörperte. Außerdem geht Matsune dem Begriff "Amour fou" auf den Grund: "Geisteskranke Liebe, verrückte Liebe. Was ist das? Das würde ich gerne verstehen! (Lachen.)", schreibt er im E-Mail-Interview.

Auch hier ist also mit einem gewissen Augenzwinkern zu rechnen, ganz wie bei "Performance Homework". Für dieses Projekt wünscht sich Michikazu Matsune ein rasches Ende, er möchte lieber bald wieder live performen. Kaum fällt die Abstandsregel auf Bühnen, wird er die Webseite zum "Archiv künstlerischer Reflexionen und Dokument unserer gemeinsamen Erfahrung in dieser Zeit" erklären. Eine der 20 Aufgaben wird Matsune bis dahin nicht ausgeführt haben: die Reproduktion einer Performance von Bas Jan Ader aus dem Jahr 1970. Darin fiel dieser von einem Dach.

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