Verloren im Lockdown
E-Learning und Homeschooling haben die soziale Kluft an Wiens Schulen vergrößert. Wie haben Kinder aus benachteiligten Familien die Corona-Krise überstanden?

Foto: Heribert Corn
Das Handy vibriert, eine unbekannte Nummer. Lena beäugt das Gerät skeptisch: „Was, wenn es eine Lehrerin ist?“ Große Überraschung wäre das keine, denn solche Anrufe erhält die 13-Jährige dieser Tage öfter. Lena geht in die dritte Klasse einer Neuen Mittelschule, seit Mitte März war sie nicht mehr dort. Erst war die Schule zu, und jetzt, wo der Schulbetrieb in Gruppen stattfindet, fehlt sie weiterhin. Lena ist das zweitälteste von acht Geschwistern, die jüngste Schwester ist gerade einen Monat alt, ein Frühchen. Eine Ansteckung wäre lebensgefährlich.
Also bleibt Lena zuhause. Zuhause, das ist ein riesiger Gemeindebau im Nordwesten Wiens. „Es ist noch immer ungewohnt, im Hof zu sein“, sagt Lena, schwarze Jeans mit großzügigen Löchern, weiße Turnschuhe, nachdenklicher Blick, bestimmter Tonfall. Wie alle Kinder und Jugendlichen in diesem Artikel heißt Lena eigentlich anders. Normalerweise hängt sie nachmittags oft bei McDonald’s ab, aber das geht jetzt nicht. Also sitzt sie auf der Bank bei der Wiese, umringt von ihrer Freundin Claudia, ihrem älteren Bruder Marc und dessen Freund Eric. Sie lutschen Kaktuseis, trinken Clever-Eistee und wischen alle paar Minuten auf ihren Handys herum.
Als ihres läutet, hebt Lena nicht ab, sondern erzählt weiter. Davon, wie mühsam sie es findet, zu Hause für die Schule zu lernen. Ihr fehle die Motivation, bei Fragen können die Eltern nicht weiterhelfen. Zwei Chatgruppen gibt es für ihre Klasse, in keine davon schreibt sie hinein oder antwortet auf Fragen. Weshalb Lena nun vermutet, dass der unbekannte Anrufer wieder einmal eine Lehrerin sein könnte.