Der lange Weg zur Freiheit in Belarus
Der belarussische Staatschef Alexander Lukaschenko lässt Demonstranten verprügeln und erschießen. Die Belarussen buhen ihn aus. Selbst die Arbeiterkollektive laufen über. Was steht in Minsk bevor?
Es ist die Nacht des 10. August, als Alexander Tarajkowskij sterben muss. Gegen elf Uhr abends fällt ein Schuss, der Mann sackt zusammen. Bewegt sich nicht mehr. Eine Kugel der Sondereinheiten hat die Bauchhöhle des 34-Jährigen durchstoßen. Er verblutet. Doch erinnern darf nichts an diesen Tod. Die Blumen, die Trauernde am nächsten Morgen an der Kreuzung in der Minsker Innenstadt niederlegen, um des Toten zu gedenken, werden immer wieder weggeräumt. Passanten von der Polizei verjagt.
Jede Revolution hat einen Punkt ohne Wiederkehr. Für Alexandra Dikan war dieser Tod so ein Ereignis. Die 31-Jährige steht in jener Nacht im Stadtzentrum von Minsk, in einem beißenden Gemisch aus Granaten, Tränengas und Schüssen, um gegen das offizielle Ergebnis der Präsidentschaftswahlen zu demonstrieren. Es ist wie an einer Kriegsfront. Bei jeder Granate zerreißt es ihr das Herz. Das Innenministerium wird später sagen, der Mann sei an einer Explosion eines „unbekannten Feuerwerkskörpers“ gestorben. Doch ein Mitschnitt, den Reuters zuletzt veröffentlicht hat, zeigt Polizisten, die auf unbewaffnete Demonstranten zielen. Den Gipfel der „Bestialität“ nennt es Dikan. Ein Staat, der nach einer solch blutigen Nacht versuche, diesen Mord zu leugnen. Zwei Tage später steht sie, die Frauenrechtlerin, wieder auf der Straße, jetzt in weißem Kleid und mit Blumen in der Hand, wie hunderte andere Frauen auch. Es sind jetzt die „weißen Frauen“ die gegen Polizeigewalt zu demonstrieren.