Die letzten Tage der Menschheit
Ein volles Zirkuszelt, Mitgrölen bei Ambros und wilde Halloween-Clubbings: In den Tagen vor dem Lockdown ließ es Wien noch einmal krachen. Viele scheinen den Respekt vor dem Virus verloren zu haben
Polizeifoto des Attentäters vom Jänner 2019. Er reiste Richtung Syrien und wollte sich dem Kalifat anschließen | Foto: Polizei
Es ist Montag, 20.02 Uhr, wir brauchen für den Redaktionsschluss noch Zigaretten. Hundert Meter sind es vom Falter-Büro in der Marc-Aurel-Straße zum nächsten Automaten. Die Straße ist einer der Ausläufer des „Bermudadreiecks“, einer Partymeile, an der Generationen von Wienern, Touristen und Zugereisten trinken, tanzen und das Leben genießen.
Eine Minute, bevor wir das Haus verlassen, dürften die ersten Schüsse gefallen sein. Auf der Straße treffen wir auf verschreckte Burschen vor einem Irish Pub, sie erzählen entgeistert von einer Kalaschnikow. Und dann wird es laut, richtig laut, ein blechernes Gellen: Krt krt krt. Krt krt krt. Vom Schwedenplatz stürmen Polizisten mit Gewehr im Anschlag, wir hämmern an die Redaktionstüre, die Schüsse kommen näher.
Es ist eine gespenstische, eine unwirkliche Szene. Begleitet vom Heulen der Einsatzwagen, die durch die Marc-Aurel-Straße rasen und drüben am Donaukanal erstaunlich schnell die Innenstadt ansteuern. Mit Helmen und schusssicheren Westen, mit Hubschraubern und zivilen Einsatzkommandos durchkämmen die Polizisten den Bezirk wie bei einem Häuserkampf. Sieben verschiedene Polizisten werden an diesem Abend schießen. Sind Dutzende Attentäter in der Stadt unterwegs? Oder doch nur einer? Niemand kann es zu der Zeit sagen.