„Unser Konkurrent ist die Mülltonne“

Dass Lebensmittel wertvoll sind, unterschreibt jeder. Dennoch landen in Österreich eine Million Tonnen guter Nahrung jährlich im Müll. In Wien boomen Rettungsinitiativen – heimliche wie offizielle

Tom Rottenberg
STADTLEBEN, FALTER 46/20 vom 10.11.2020

Foto: Christopher Mavrič

Natürlich geht es auch ein bisserl um das Kribbeln. Um Robin Hood. Um das Bewusstsein, die Regeln eines ungerechten Systems zu brechen, darum, Gutes und Sinnvolles zu tun – und dabei auch einen Hauch von Abenteuer zu erleben. Am Anfang zumindest. Auch wenn das so natürlich niemand zugibt. Zugeben kann. Weil so ein Gedanke hehre Ziele, lautere Motive und ehrbare Absichten doch kleiner, niederer wirken lässt. Obwohl all das, sagt Kathrin F., unbestritten sei: Sogar als sie von Securitys oder – bisher nur einmal – der Polizei gestellt worden sei, hätten die Menschen in den Uniformen jedes Mal erklärt, „dass sie eigentlich cool, richtig und vernünftig finden, was wir machen“. Und deshalb lediglich abgemahnt, verwarnt, verjagt und gebeten, „in Zukunft woanders in die Mülltonne zu steigen“. F. versteht das sogar: „Wenn sie nicht einschreiten, riskieren sie ihre Jobs.“

Die Mittdreißigerin wirkt unschlüssig, wenn sie von solchen Erlebnissen erzählt. Denn der Moment, „wenn du knietief in einem Müllcontainer stehst und plötzlich die Tür zum Müllraum auffliegt“, sei nicht lustig. Dass F., die unbescholtene und „natürlich absolut gewaltfreie“ Kindergartenpädagogin, nur Lebensmittel aus dem Container holt, können die, die da wegen verdächtiger Geräusche und Bewegungen von Anrainern oder einem stillen Alarm gerufen wurden, schließlich nicht wissen: „Nein, um den Thrill geht es nicht: Wir retten Lebensmittel.“

Seit mittlerweile zehn Jahren ist die Wienerin auf dieser Mission. Angefangen hat es, als sie über Freunde zu einer Gruppe stieß, die regelmäßig nach Geschäftsschluss die Müllräume mehrerer Supermarktfilialen abklapperte. Man füllte ein oder zwei Pkw-Ladungen Lebensmittel aus den Müllcontainern und verteilte das Essen dann am Straßenrand in anderen Stadtvierteln. Angekündigt über Social Media. „Was wir da erlebt haben, war unglaublich. Ich hatte davor keine Vorstellung, wie viele Menschen sich Essen nicht leisten können – und wie viele Nahrungsmittel einfach weggeworfen werden.“

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  2174 Wörter       11 Minuten

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