Prost! Lexikon der Getränke. Diese Woche: B52

Ein Cocktail-Shot passend zum Jahresmotto

Stadtleben, FALTER 47/20 vom 18.11.2020

Wäre das Jahr 2020 ein Getränk, es wäre vielleicht ein B52. Sie erinnern sich an diesen Cocktail-Shot, der Anfang der 90er-Jahre so gerne getrunken wurde? Drei Schichten: unten der dunkle Kaffeelikör Kahlúa, dann Baileys und oben drauf ein Schuss Grand Marnier. Das Ganze wurde dann angezündet, ein Strohhalm hineingesteckt und mit dem Feuer um die Wetter getrunken. "Grauenhafte Plörre!", kommentierte Falter-Grafiker Reini Hackl die Wahl des Getränks. Und recht hat er.

Aber trotzdem, oder besser gerade deswegen das Cocktail-Äquivalent des Jahres: Zu Beginn (man schmeckt zuerst die unterste Schicht, weil man ja durch den Strohhalm trinkt) irgendwie noch ganz okay. Der erste Schluck vielleicht sogar gut. Hoffnungsvoll saugt man fester. Es wird bitter. Und dann - man will eigentlich gerade absetzen -folgt eine Schicht klebriger Süße. Völlig überdosiert in der Intensität, um gut zu sein, und auch schon ein bisschen lauwarm. (Die Entsprechung des heurigen Sommers.) Man erahnt bereits das Feuer, den Wettlauf mit der Zeit, ehe die blaue Flamme an der Oberfläche den Strohhalm erfasst. Diese Vorahnung drängt einen dazu, Dinge zu tun, die man sonst eventuell nicht getan hätte: Man trinkt entgegen besserem Wissen weiter und landet letztendlich beim Grand Marnier, der eigentlich nur noch als heißer, scharfer und unangenehmer Nachgeschmack zurückbleibt. Die ganz Langsamen werden zusätzlich auch noch mit dem Aroma von verbranntem Plastik und mit versengten Haaren gestraft.

Aber was erwartet man sich auch von einem Cocktail, der nach einem USLangstreckenbomber benannt ist, der im Vietnamkrieg zum Abwurf von Brandbomben eingesetzt wurde?

Prost 2020 und burn, Motherfucker , burn.

Rezensierte Getränke wurden der Redaktion fallweise kostenlos zur Verfügung gestellt

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