ABER BITTE OHNE SAHNE

The Notwist sind Könige des Understatements. Nach längerer Pause legt die deutsche Band ein kleines Meisterwerk vor

FALTER:Woche, FALTER:Woche 5/2021 vom 03.02.2021

Glam und Glitzer sind das Schlagobers der Popkultur. Es ist ein Bonus, wenn Musiker etwas Funkelndes ausstrahlen, sich über ihre Garderobe Gedanken machen und modischen Wagemut beweisen. Zwingend braucht es all das aber nicht, wie die bayerische Band The Notwist seit mehr als 30 Jahren beweist. Ginge es nur nach der Optik und Ausstrahlung, wäre sie ein sitzengebliebener Kuchen.

Selbstdarstellung ist den Musikern fremd, das wird beim Zoom-Interview mit den Brüdern Markus und Micha Acher, Gründungsmitglieder der Gruppe, und ihrem jüngeren Kollegen Cico Beck schnell deutlich. Die Antworten kommen stockend, was nicht an der Internetverbindung liegt. Dabei sind The Notwist keineswegs verschlossen oder gar muffig -allenfalls etwas maulfaul -, sondern sehr ruhige, zurückhaltende Menschen, die in ihrer eigenen Welt leben.

Einer Welt, die sich primär um Musik dreht. Sind diese Typen mit den wuscheligen Haaren und ihren Zwölf-Tage-Bärten gut in Form, produzieren sie mit die schönsten Songs und wunderlichsten Jams, die es auf diesem Planeten gibt. Diese klingen mal so, als hätten die Beatles den Krautrock erfunden, dann wieder, als würden ein paar Jazzer auf einer Techno-Party aufspielen.

Es ist leider ein wenig in Vergessenheit geraten, wie großartig die aus Weilheim stammende und mittlerweile in München ansässige Band ist. Den äußerlichen Höhepunkt ihrer Karriere erreichte sie 2002 mit "Neon Golden". Zu einer Zeit, als Gitarrenrock und elektronische Elemente gerade zusammenfanden, traf dieses Album einen Nerv und ging durch die Decke. Für eine kleine deutsche Indieband waren 150.000 verkaufte Platten äußerst bemerkenswert. Am Ende des Jahrzehnts tauchte "Neon Golden" in vielen 2000er-Jahre-Bestenlisten auf.

Damals standen The Notwist einige Türen offen. Sie zogen es vor, lieber nicht durchzugehen. So läutete bei Sänger Markus Acher eines Tages das Telefon. Ein Telekommunikationskonzern bot ihm 750.000 Euro an, um einen Song in der Werbung verwenden zu dürfen. Acher lehnte ab. Diese Verweigerungshaltung wirkt angesichts der Tatsache, dass die im Gitarren-Underground der 1980er-Jahre sozialisierte Band mit ihrer Musik nicht einmal annähernd reich wurde, vielleicht seltsam. Sie hat etwas mit Integrität zu tun.

Für The Notwist war es gut, weiter nach eigenen Regeln zu agieren, statt sich ins Hamsterrad der Musikindustrie zu begeben. Das bewies die Band hierzulande zuletzt 2019 bei Konzerten. Sie waren von einer Beseeltheit, die dem Publikum ein Lächeln ins Gesicht zauberte -sofern ihm der Mund ob der Intensität des Gebotenen nicht gerade offen stand.

Beim Thema Auftritte kommt Markus Acher in Fahrt: "Wir spielen schon so lange zusammen und oft die gleichen Stücke. Damit es nicht langweilig wird, ändern wird ständig etwas an den Songs." Als Vorbild dienen dabei weniger Popbands als Jazzer: "Uns fasziniert das Schlippenbach Trio. Das sind Free-Jazzer, die seit Jahrzehnten zusammen auf der Bühne sind. Außerhalb der Musik müssen die sich überhaupt nicht mehr verständigen. Es wäre ein Traum, irgendwann dahinzukommen. Eines Tages möchten wir bei Konzerten kein Programm mehr machen, sondern einfach drauflosspielen." Das neue Album "Vertigo Days" ist zwar ein Studiowerk, aber ungemein lebendig und streckenweise so kraftvoll wie ein Notwist-Konzert. Es folgt der Logik von Mixtapes und DJ-Sets. Die Songs enden nicht oder werden ausgeblendet, sie gehen ineinander über. Manche überlappen auch, während ein Stück ausläuft, beginnt das Schlagzeug bereits das nächste zu spielen. Auf diese Art können The Notwist ihre Stärken voll ausspielen, Melodien und Grooves, Melancholie und Dynamik aufs Schönste miteinander verbinden.

Der Kunstform Album, die angesichts veränderter Hörgewohnheiten durch Streaming sehr gelitten hat, gewinnen sie gleichzeitig noch einmal eine neue Facette ab. Und sie setzen nicht zuletzt einen freundlichen Akt der Subversion. Weil sich die einzelnen Songs nicht aus dem Zusammenhang reißen lassen, ist "Vertigo Days" als Spotify-Futter völlig ungeeignet. "Wir haben kurz überlegt, auch andere Versionen aufzunehmen", sagt Bassist Micha Acher. "Aber die Idee vom Album lag uns zu sehr am Herzen."

Nach so vielen Bandjahren werde es immer schwieriger, sich etwas Neues einfallen zu lassen, bemerkt Markus Acher: "Wir spielen ja auch in anderen Bands. Es ist wesentlich einfacher, erste oder zweite Platten zu machen. Nach ,Neon Golden' haben wir Druck verspürt, mittlerweile gehen wir nur danach, was wir machen wollen. Es muss uns gefallen, eine andere Regel gibt es nicht."

Ganz verweigern sich die Herren der modernen Welt nicht. Seit vergangenem Sommer haben sie sogar einen Instagram-Account. "Meine Tochter hatte großen Einfluss darauf", gibt Markus Acher zu. "Die neuesten Tricks, wie man in sozialen Netzwerken einen Hit landet, kennen wir aber immer noch nicht."

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