EXISTENZIALISMUS AUS DEM SUPERMARKT

Filme, die Sie schon längst einmal gesehen haben sollten, Teil 11: "I Heart Huckabees" von David O. Russell

FALTER:Woche, FALTER:Woche 5/2021 vom 03.02.2021

Der Supermarkt ist freundlich, denn er ist für alle da. Der Supermarkt hilft, ob mit Rabattaktionen oder Kooperationen: etwa um ein Sumpfland zu retten, auf dem eigentlich, vielleicht, ein neuer Supermarkt entstehen soll.

Albert Markovski, Umweltaktivist bei der "Freiflächenkoalition", die sich für die Erhaltung des Moores einsetzt, muss feststellen, dass er hintergangen wurde. Brad Stand, der aalglatte Verkaufsleiter der Supermarktkette Huckabees, des "Everything Store", hat sich als charmanter Ansprechpartner der Aktivisten so beliebt gemacht, dass er Albert verdrängen konnte. Und Brad führt nichts Gutes im Schilde.

Den Klimaschützer quält neben dem beruflichen Absturz noch die rätselhafte Wiederholung eines Zufalls, denn immer wieder begegnet ihm derselbe Fremde. Verwirrt und deprimiert sucht Albert die Praxis der "existenziellen Detektive" Vivian und Bernard Jaffe auf. Diese beginnen, sein Leben zu durchleuchten, indem sie ihn ständig beobachten. Gleichzeitig versuchen sie, ihm das harmonische "große Ganze" näherzubringen, und vermitteln ihm mit Tommy einen neuen Freund.

Alberts "Therapie" macht Fortschritte, bis Brad ihn auch hierher verfolgt und selbst eine Behandlung beginnt. Tommy und Albert flüchten - und treffen auf Catherine Vauban, eine französische Nihilistin und Gegenspielerin der Jaffes.

Mit "I Heart Huckabees" hat der amerikanische Drehbuchautor und Regisseur David O. Russell die wohl skurrilste philosophische Komödie der 2000er-Jahre geschaffen. Die Filmwissenschaftlerin Kim Wilkins zählt sie neben Werken wie "Being John Malkovich","Lost in Translation" und "Donnie Darko" zum sogenannten American Eccentric Cinema, das konventioneller Hollywood-Ware neue Arten des Erzählens entgegensetzt. Insbesondere nach den Terroranschlägen des 11. September 2001 entwickelte dieses Kino ein Interesse an existenziellen Fragen.

"Huckabees" ist einerseits in seiner Entstehungszeit verwurzelt, als die traumatische Erfahrung des Terrors den amerikanischen Lebensstil infrage stellte. Als dialektische Komödie, in der Konsumwahn den Bemühungen um den Schutz der Natur und die Suche nach einem Sinn des menschlichen Daseins dessen drohender Bedeutungslosigkeit gegenüberstehen, ist sie aber so aktuell wie vor 17 Jahren.

David O. Russell gelang mit der Tragikomödie "Silver Linings" und dem Ganovenstück "American Hustle" in den 2010ern der endgültige Durchbruch. Anders als in diesen vielfach Oscar-nominierten Werken, in denen die für Russells (Komödien-)Arbeit charakteristische Verschrobenheit den Filmfiguren selbst eingeschrieben ist, fungiert das Ensemble in "Huckabees" eher als archetypische Fackelträger der verhandelten gegensätzlichen Prinzipien.

Dem depressiven Don Quijote Albert (Jason Schwartzman) steht mit Tommy (Mark Wahlberg) ein seit 9/11 von Wut und Verstörung gebeutelter Feuerwehrmann zur Seite. Brad (Jude Law) verkörpert den selbstgerechten Kapitalisten, dessen harte Schale langsam Risse bekommt. Seine Freundin Dawn (Naomi Watts), als Werbemodel "Gesicht von Huckabees", verzweifelt derweil an der Oberflächlichkeit ihrer schönen Welt.

Die existenziellen Detektive, genial gespielt von Lily Tomlin und Dustin Hoffman, bilden das Herz des Films. Ihre Theorie der inneren Verbindung aller Dinge findet ihr Gegenstück in Catherine Vauban, Spezialistin für "Grausamkeit, Manipulation und Bedeutungslosigkeit", die Isabelle Huppert mit vollem Körpereinsatz gibt. Sie lehrt Albert und Tommy, dass die Menschen das Universum als einsamen Ort akzeptieren müssen, in dem sie nur die Erfahrung des Leidens teilen.

Oder sind die beiden Schulen vielleicht doch zwei Seiten derselben Medaille? Selten hat ein existenzphilosophischer Exkurs so viel Spaß gemacht wie bei Russell. Er gilt als einer der kreativsten Köpfe der amerikanischen Filmwelt, jedoch auch als launischer, mitunter aggressiver Regisseur. Zu unrühmlicher Bekanntheit kam "Huckabees" durch ein Video, das viral ging: Es zeigt einen Disput zwischen Russell und Lily Tomlin, die sich übel beschimpfen.

Dem fertigen Film (für den Tomlin nur lobende Worte hat) merkt man davon nichts an. Hier zerlegen sich bloß die Bilder im Tanz der Philosophien: eine visuelle Verspieltheit, die Jon Brions von den Klängen einer Theaterorgel dominierte Partitur noch unterstreicht.

Am Ende hat sich die Weltsicht aller Figuren verändert und jene des Publikums auf unterhaltsame Weise befruchtet. Tommy und Albert planen, sich an einen Bulldozer zu ketten. "Soll ich meine eigenen Ketten mitbringen?", fragt Tommy. "Das tun wir doch immer", antwortet sein Freund.

"I Heart Huckabees" (USA 2004) Regie: David O. Russell, Buch: Jeff Baena, David O. Russell, Kamera: Peter Deming, Musik: Jon Brion, Produktion: Gregory Goodman, Scott Rudin, David O. Russell für Centfox Darsteller/-innen: Jason Schwartzman, Isabelle Huppert, Dustin Hoffman, Lily Tomlin, Jude Law, Mark Wahlberg, Naomi Watts

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