Das Urteil ÖVP vs. FALTER
Wie die ÖVP und ihr Generalsekretär eine unangenehme Gerichtsniederlage gegen den Falter in einen Sieg umzudeuten versuchen
Gestern haben wir Post vom Gericht bekommen. Post, auf die wir seit fünf Monaten gewartet haben. Es ist das Urteil in einem handelsrechtlichen Verfahren, das die ÖVP gegen den Falter angestrengt hat. Das Warten hat sich gelohnt.
Gleichzeitig wie wir hat auch die ÖVP Post bekommen – genau dieselbe. Allerdings leitet sie eine Interpretation daraus ab, die man flapsig als alternatives Urteil bezeichnen könnte. Darauf komme ich gleich zurück. Zuerst möchte ich Ihnen erzählen, worum es eigentlich geht:

Wenige Wochen vor der Nationalratswahl 2019 haben wir berichtet, die türkise Volkspartei plane, die gesetzliche Wahlkampfkostenobergrenze von sieben Millionen Euro zu überziehen – und wolle die Öffentlichkeit darüber ebenso täuschen wie den Rechnungshof. Schon im Jahr 2017 und im Jahr 2013 hatte sich die ÖVP nicht an die finanziellen Spielregeln gehalten.
Das haben wir uns natürlich nicht einfach aus den Fingern gesogen. Die Grundlage für den Bericht waren umfangreiche Unterlagen aus der Buchhaltung der ÖVP – mit August 2019 datierte, detaillierte Budgetberechnungen für die Wahlkampfausgaben, die eine Gesamtsumme von rund neun Millionen Euro vorsahen. Immerhin zwei mehr als erlaubt. Unter anderem waren darin auch peinliche Details wie jenes zu lesen, dass Sebastian Kurz, der mit Slogans wie „Einer, der am Boden bleibt” ins Rennen ging, 600 Euro für einen Haarschnitt ausgegeben hatte.
Nachdem wir diese Unterlagen veröffentlicht hatten, behauptete die ÖVP zunächst, wir seien einer Manipulation oder Fälschung aufgesessen und zog gegen uns vor Gericht. Es dauerte nicht lange, bis die Türkisen dort eingestehen mussten: Die Dokumente waren auf Punkt und Beistrich echt. Worauf sie diesen Punkt außer Streit stellte.
Aufrecht blieb die Forderung, dass wir den Rest unserer Schlussfolgerungen – das Vorhaben, mehr für den Wahlkampf auszugeben als erlaubt und die Täuschung von Öffentlichkeit und Rechnungshof – widerrufen. Jetzt hat das Gericht die wesentlichen Punkte unserer Berichterstattung bestätigt: Der Vorwurf, die ÖVP habe bewusst die Überschreitung der Wahlkampfkostenobergrenze geplant, ist zulässig.
Dazu heißt es in dem 28 Seiten umfassenden Urteil: „Der zur Fundierung des Planungsvorsatzes der klagenden Partei (ÖVP, Anm.) herangezogene unter Berücksichtigung der Gesamtumstände vorgenommene Schluss der Beklagten (Falter, Anm.) vom gezeigten äußeren Verhalten, Dokumente, auf die innere Intention der klagenden Partei ist zulässig und methodisch nicht zu beanstanden.”
Und auch der Vorwurf, die ÖVP habe die Öffentlichkeit getäuscht, wird vom Gericht bestätigt: „Zum zweiten erhobenen Vorwurf, die ÖVP täusche bewusst die Öffentlichkeit über ihre Wahlausgaben, kann auf die obigen Ausführungen insofern verwiesen werden, als ein entsprechendes Tatsachensubstrat vorliegt.”
Nur in einem von der ÖVP geklagten Sachverhalt hat sich das Gericht nicht der Argumentation des Falter angeschlossen: Nämlich, dass die ÖVP nicht nur die Öffentlichkeit, sondern auch den Rechnungshof in die Irre führen wollte.
Um 13.55 Uhr wurde das Urteil zugestellt. Worauf ÖVP-Generalsekretär Axel Melchior in die Tasten griff (oder greifen ließ), um folgende Presseaussendung zu verschicken: „Wochenzeitung Falter wurde im Gerichtsverfahren mit der Volkspartei verurteilt“ – eine interessante Interpretation bei einem Urteil, das dem Falter-Vorwurf, die ÖVP habe die Wahlkampfkosten bewusst überzogen und die Öffentlichkeit getäuscht, Recht gibt. (Die Taktik erinnert übrigens ein bisschen an einen alten Witz aus dem Kalten Krieg, in dem Sowjetführer Nikita Chruschtschow einen Wettlauf gegen US-Präsident John F. Kennedy verliert – und die russischen Medien anschließend berichten, Chruschtschow habe den hervorragenden zweiten Platz gemacht, während Kennedy nur Vorletzter geworden sei.)
Wenig später begannen in diversen Redaktionen die Telefone Sturm zu läuten: Die Message-Control-Brigaden der ÖVP waren dran, um Druck zu machen, dass die ÖVP-Version der Geschichte umgehend veröffentlicht werden müsse. Dieser Spin wurde weitgehend nur von Oe24 und der ZiB 1 übernommen. Die meisten anderen waren willens und in der Lage, das Urteil als das zu lesen, was es ist.