„Man kann sich nicht ausklinken"

Daniel Wisser und Silvia Pistotnig über das Autorenleben, Politik, Kulturpessimismus und Aussteigertum

FALTER:Woche, FALTER:Woche 20/2021 vom 18.05.2021

Foto: Heribert Corn

Teresa reicht’s. Auch Victor hat genug. Die Hauptfiguren der Romane von Silvia Pistotnig („Teresa hört auf“) und Daniel Wisser („Wir bleiben noch“) sind sich auf den ersten Blick sehr ähnlich. Sie halten die Welt nicht mehr aus und ziehen sich zurück. Der Unterschied ist: Teresa kämpft mit größter Härte auch gegen sich selbst, während Victor dem Leben zugewandt bleibt.

Wisser und Pistotnig lesen am Wochenende beim Festival Rund um die Burg aus ihren Romanen. Leider nur digital, Publikum ist im Zelt vorm Burgtheater heuer aus Sicherheitsbedenken noch keines zugelassen. Das Gespräch fand bei Kaffee und Wasser in Daniel Wissers Wohnung statt.

Falter: Frau Pistotnig, Herr Wisser, das Festival Rund um die Burg war als erste große Literaturveranstaltung vor Publikum geplant. Jetzt findet es doch nur digital statt. Wie groß ist die Enttäuschung?

Daniel Wisser: Beträchtlich. Das Digitale ist nix. Als im September und Oktober 2020 Lesungen vor Publikum stattfinden konnten, waren fast alle ausgebucht, teilweise sogar überbucht. Die Leute wollen das nicht als Video. Bei Rund um die Burg werden wir zumindest vor Ort gefilmt. Das ist besser als zuhause vorm Computer zu lesen, wie ich es schon gemacht habe. Hinten geht die Freundin zur Wäschespinne und hängt Socken auf, während man einem Niemand seinen Roman vorträgt. Das ist trostlos.

Silvia Pistotnig: Vor Publikum ist es natürlich schon netter. Aber für mich haben Lesungen generell keinen hohen Unterhaltungswert. Tut mir leid, das als Autorin sagen zu müssen.

Wisser: Ich habe das vermisst. Besonders die Veranstaltungen, wo man in eine Kleinstadt fährt und in einer Bibliothek liest, sind für mich wichtig.

Die Buchbranche hat interessanterweise nicht darunter gelitten, dass es kaum Events gab. Es wurden 2020 sogar mehr Bücher verkauft als im Jahr zuvor.

Wisser: Das hat mich gefreut. Es gibt vor den Buchmessen ja immer Negativ-Meldungen im Feuilleton. Es gebe zu viele Bücher und der Verkauf gehe beständig zurück. Das stimmt nicht.

Pistotnig: Aber wie kommen diese Zahlen zustande? Ich glaube, die Bücher, die sich gut verkaufen, gehen eben noch besser.

Wisser: Du meinst, die Schere geht noch weiter auseinander?

Pistotnig: Genau, Juli Zeh verkauft jetzt noch mehr. Ich bin beim kleinen österreichischen Verlag Milena und merke davon wenig. Für meinen Roman zählt vor allem noch der regionale Buchhandel, bei den großen Internetanbietern spielt er einfach keine Rolle.

Wisser: Ich bin mit meinem neuen Roman zum großen deutschen Verlag Luchterhand gewechselt. Mir wurde dort schon vor der Pandemie gesagt: Die Belletristik nimmt gegenüber der Genre-Literatur wieder stark zu. Der Markt ist mit Krimis und Thrillern übersättigt. Juli Zeh ist eine Verlagskollegin von mir und zu Recht sehr erfolgreich. Das ist eine wahnsinnig sympathische Autorin, die strickt ihre Dinge nicht nach irgendwelchen kommerziellen Vorstellungen.

Pistotnig: Ich finde sie eh super und bin ein großer Fan. Sie schafft es immer, einen Nerv zu treffen.

Was braucht es noch, um sich im Literaturbetrieb zu etablieren und zu behaupten?

Pistotnig: Da kann ich noch nicht mitreden. Sag du, Daniel.

Wisser: Wieso? Du hast doch schon drei Bücher.

Pistotnig: Na gut, man braucht einiges an Frustrationstoleranz.

Wisser: Ausdauer braucht es bestimmt. Ich glaube aber, es gibt keine Rezepte. Das Wichtigste ist, dass man das macht, was man machen will. Dann erträgt man auch, wenn Dinge nicht so laufen, wie man sie sich vorstellt. Allerdings: Ohne Agentur funktioniert es heute nicht mehr. Hast du eine Agentur?

Pistotnig: Ja, hab’ ich, ich will ja auch weiterkommen. Wenn ich ehrlich bin, schreibe ich die Texte im Gegensatz zu dir nicht in erster Linie für mich. In einem gewissen Maß denke ich immer an die Leserinnen und Leser. Manchmal frage ich mich beim Schreiben schon: Ist das jetzt langweilig?

Die wenigsten Autorinnen und Autoren können vom Schreiben leben. Wie haben Sie das organisiert?

Pistotnig: Ich muss Teilzeit arbeiten. Und ich habe zwei Kinder. Durch die Lockdowns, das Homeoffice und Distance-Learning ging im letzten Jahr beim ­Schreiben gar nichts weiter. Sonst komme ich meist donnerstags und freitags am Vormittag dazu. Dann bin ich sehr schnell. Aber es passiert zu selten. Elternschaft mit künstlerischer Tätigkeit zu vereinbaren ist praktisch unmöglich. Auch Reisestipendien kann ich vergessen.

Der Kollege arbeitete lange in der EDV und kündigte vor ein paar Jahren seinen Job, um sich ganz dem Schreiben widmen zu können. Kam danach ein großer Produktivitätsschub?

Wisser: Ja, am Anfang schon. Seither schwankt es sehr. Ich hätte grundsätzlich mehr Zeit, was aber auch Druck macht. Thomas Bernhard hat die Situation im „Kalkwerk“ sehr schön beschrieben: Alle sind weg, es ist ideal, dann setzt man sich hin und muss feststellen, es geht nicht. Und schon ist man irgendwo im E-Mail-Postfach oder auf Twitter, um sich abzulenken.

Wie halten Sie es mit den sozialen Medien?

Pistotnig: Ich sehe Facebook und Instagram pragmatisch als Vermarktungsmöglichkeiten. Ich möchte ja, dass das Buch verkauft wird. Aber ich habe dort vor allem Leute als Freunde und Follower, die ich sowieso schon kenne. Okay: Wenn dadurch Volksschulkolleginnen mitbekommen, dass ich ein Buch geschrieben habe, kaufen sie es vielleicht. Aber eine Fanbase werde ich mir wohl nicht aufbauen können.

Dafür braucht es Follower-Pflege und regelmäßigen Content.

Pistotnig: Das ist mir dann wieder zu blöd. Ich frage mich ja immer noch, was man eigentlich auf Instagram macht. Und selbst wenn ich es wüsste: Was für Fotos soll ich reinstellen? Ich habe einfach nichts.

Wisser: Soziale Medien sind Zeitfresser. Das ist ein Klischee, aber es stimmt. Ich war von 2008 bis 2018 auf Facebook. Dann bin ich ausgestiegen. Aber ich bin nach wie vor auf Twitter aktiv und nun auch wöchentlicher Kommentator auf Zackzack.at. Da geht es vor allem um Politik. Twitter zeigt einem übrigens den Stellenwert von Kultur. Das politische Posting hat hundert Mal mehr Likes als die Ankündigung einer Lesung bei Rund um die Burg.

Was ist Ihr Antrieb, sich als Autor politisch zu äußern?

Wisser: Seit ein paar Jahren habe ich die Panik, was mit der Demokratie in diesem Land passiert. Manchmal denke ich mir: Erspar dir das, sag nix. Und dann kommt wieder eine Welle: Nein, du musst was ­schreiben, manches kann man nicht unkommentiert stehen lassen. Falls in Österreich irgendwann Situationen eintreten, wie ich sie leider befürchte, möchte ich zu mir selbst sagen können: Ich habe es wenigstens ausgedrückt.

Sie sind eine Ausnahme. Man hat das Gefühl, die meisten Autorinnen und Autoren wollen an Politik gar nicht anstreifen, um sich nicht die Hände schmutzig zu machen.

Wisser: Das enttäuscht mich sehr. Es muss nicht jeder dauernd seine Meinung sagen. Schlimm finde ich jedoch das Schweigen aus Taktik oder Kalkül. Das sehe ich bei vielen Kolleginnen und Kollegen. Schriftsteller müssten vor sich selbst eine andere Ethik haben als Friseure, Maurer oder auch Architekten.

Pistotnig: Schwieriges Thema. Ich finde es wichtig, sich moralisch nicht über andere zu erheben. Die Sicht des Maurers und der Friseurin zählen genauso.

Wisser: Die Meinung der Friseurin ist nicht weniger wert. Aber sie äußert sich nicht öffentlich.

Pistotnig: Manche verstehen es schon als politisches Statement, wenn sie auf Face­book etwas anklicken oder mit einem Banner ihre Meinung kundtun. Aber im Grunde heißt das nichts. Es hat keinen Aussagewert.

Wisser: Uns ist eine Diskussionskultur abhanden gekommen.

Pistotnig: Danke, das wollte ich damit sagen.

Warum ist Diskutieren uncool geworden?

Wisser: Weil es anstrengend ist. Verschiedene Meinungen muss man aushalten. So funktioniert die Sozialdemokratie. Das andere ist die autoritäre Führung. Die löst ein Problem in drei Sekunden, indem der Häuptling sagt: So machen wir das. Amazon ist auch so. Die Leute sagen: Das ist einfach so superpraktisch. Ja, natürlich, Sklaverei ist sehr praktisch. Wenn ich in Indien in einem Hotel bin, gebe ich meine Hemden am Vormittag ab, und um den Wert von 1,70 Euro kommen die zu Mittag gestärkt und gebügelt zurück. Du gehst wie ein Lord aus dem Hotel. Auch das ist praktisch. Aber wenn du hinschaust, wer da arbeitet und wie viel er verdient, hast du ein anderes Problem.

Ihre Figuren wollen sich dem entziehen, indem sie sich aus der Welt ausklinken – Victor flieht aufs Land, Teresa in sich selbst.

Wisser: Aber es klappt nicht. Auch wenn man alles abmeldet und kein Plastik mehr kauft. Man kann sich nicht ausklinken.

Pistotnig: Das ist Augenauswischerei. Du kannst alles selber anpflanzen und als Selbstversorger leben, dann ist der Boden vielleicht immer noch verseucht. Wir sind alle mittendrin. Was mich stört, ist, dass es immer die anderen sind, die etwas sollen müssen. Die sollen den Regenwald bitte stehen lassen. Aber ich will schon auf die Bahamas fliegen. Ich will den Luxus haben, da nehme ich mich gar nicht aus.

Wie viel von Ihnen steckt in Ihren Romanfiguren?

Wisser: Victor ist ein Kulturpessimist. Auch zu mir sagen die Leute nach ein paar Gesprächen: Na, du bist schon a bissl a Kulturpessimist. Viele nerven meine dauernden Vergleiche mit der Vergangenheit. Aber ich sehe das als Kulturverlust, dass das Vergangene eine immer kleinere Rolle spielt, auch bei der Lektüre in den Schulen und an den Universitäten. Mich stört es, wenn mir ein junger Autor erzählt, er hat was ganz Neues erfunden. Dann muss ich ihm leider sagen: Das gibt es schon, das ist aus den 1950ern und heißt Nouveau Roman.

Pistotnig: Teresa denkt, was ich mir oft denke, nur ins Extreme gesteigert.

Wir müssen noch über Ihren familiären Background und das Kärntner Wesen sprechen. Immerhin sind Sie beide in Klagenfurt geboren.

Pistotnig: Ich bin da geboren, aber ich habe in dem schönen Dorf Maria Pulst gelebt. Schönheit mit depressivem Beigeschmack, das macht Kärnten aus.

Wisser: Ich bin froh, dass ich das endlich klären kann. Ich bin kein Kärntner. Als ich vier Monate alt war, sind meine Eltern ins Burgenland gezogen. Da bin ich aufgewachsen. Meine Großeltern mütterlicherseits sind aus Niederösterreich, wo mein Roman spielt. Mein Vater war Wiener, und ich lebe auch seit 30 Jahren in Wien. Aber ich mag Kärnten. In bin jedes Jahr im Sommer dort und habe heute mehr Verbindung als früher.

Wo standen Ihre Familien politisch?

Wisser: Ich komme aus einer Familie, wo vor allem von meines Vaters Seite ständig Nachrichten geschaut und diskutiert wurde. Es war wie im Buch. Der beste Freund von Victors Vater ist Christlich-Sozialer. Victor geht den mit 16 besuchen und kommt mit ganz nassen Schuhen an. Inzwischen hat sein Vater angerufen und seinen Freund gebeten, Victor die Schuhe auszustopfen. Aber nur mit der Volksstimme. Und das hat der gemacht. Diese Geschichte ist wahr. Auf einem solchen Niveau war die Auseinandersetzung früher. Ein bissl mit Schmäh, aber auch mit Toleranz. Da fragt man sich: Wo ist das verloren gegangen? Sind wir heute wirklich so viel toleranter?

Pistotnig: Nein, null. Man diskutiert höchstens in seiner Bubble. Toleranz wird von allen anderen gefordert, aber man selbst bringt sie nicht auf. Ich komme aus einer christlich-sozialen Familie. Bis zu meiner Pubertät hatte ich quasi keine Berührung mit der Sozialdemokratie. Für mich war Bruno Kreisky ein lieber alter Mann aus dem Fernsehen. Das war’s schon. Diese Verherrlichung finde ich nicht gut. Die frauenpolitischen Errungenschaften, die Johanna Dohnal brachte, habe ich erst viel später erkannt.

Wurde zuhause viel politisiert?

Pistotnig: Ich habe mit meinen Großeltern in einem Haushalt gelebt. Wir hatten immer wahnsinnig viel Verwandtenbesuch. Es ist ständig politisiert worden. Es waren meistens Streitgespräche, auch wenn sie früher wahrscheinlich alle das Gleiche gewählt haben. Später war ein Verwandter von mir sogar Nationalratsabgeordneter. Der war bei der ÖVP und bei der SPÖ. Bei den Blauen ist er dann was geworden. Jörg Haider hat Leuten, die in der Politik was werden wollten, das Gefühl gegeben: Du kannst was werden.

Und wie sieht es heute aus?

Pistotnig: Die Großeltern sind gestorben, und die Familie ist nicht mehr so eng. Mein Bruder und ich leben in Wien. Mit meinem Vater diskutiere ich viel und ärgere mich oft. Aber er hat immer noch dieses Konsensuale. Nicht zu weit rechts, nicht zu weit links.

Letzte Frage: Was ist das Schönste am Autorenleben?

Pistotnig: Das Schönste wäre ganz ehrlich mal: Erfolg. Da kann ich jetzt noch so tun, als würde das keine Rolle spielen. Tut es ja doch. Einen Bestseller oder großen Buchpreis habe ich noch nicht erlebt.

Wisser: Für mich ist es der Moment, wo vor mir das fertige Buch liegt. Für mich ist das alles irreal, bis das Packerl kommt. Du kannst nichts mehr daran ändern, dann steht das für hunderte Jahre in der Nationalbibliothek. Ich habe diesen Tag immer genossen. Manches würde ich heute vielleicht etwas anders schreiben, aber unter meinen Büchern findet sich keines, das ein Schnellschuss war oder wo ich zu viel auf andere gehört hätte.

Pistotnig: Da bin ich anders. Wenn das Buch fertig ist, interessiert es mich nicht mehr. Ich nehme meine Bücher später auch nicht mehr in die Hand. Bei Auftritten lese ich immer dieselben Stellen vor.

Wisser: Das habe ich bei „Königin der Berge“ gemacht, da habe ich 75 Mal dasselbe vorgelesen.

Pistotnig: Bei so vielen Lesungen würde ich es mir überlegen.


Daniel Wisser, 1971 in Klagenfurt geboren, ist Autor und Musiker (Erstes Wiener Heimorgel Orchester). Der Durchbruch gelang ihm 2018 mit dem Roman „Königin der Berge“, für den er mit dem Österreichischen Buchpreis ausgezeichnet wurde

Daniel Wisser: Wir bleiben noch. Luchterhand, 480 S., € 22,70

Silvia Pistotnig, 1977 in Klagenfurt geboren, debütierte 2010 mit dem Roman „Nachricht von Niemand“, 2017 folgte „Tschulie“ und nun „Teresa hört auf“. Pistotnig ist „Expertin für schräge Frauenfiguren“, wie Karin Cerny in der Falter-Buchbeilage konstatierte

Silvia Pistotnig: Teresa hört auf. Milena, 264 S., € 23,–

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