Bekenntnisse eines Hörsaalromantikers
Die Digitalisierung bringt Flexibilisierungsgewinne, trägt aber auch zur Verarmung der Lehre bei

Foto: Christopher Mavrič
Not macht nostalgisch. Der gegenwärtige Mangel lässt die Vergangenheit als üppiges Angebot erscheinen. Wenn die Hörsäle geschlossen bleiben und sich das vermeintlich fröhliche Studentenleben auf die Teilnahme an Videokonferenzen, das Hochladen von PDFs und das „Selbststudium“ (vulgo Büffeln) beschränkt, dann erscheint selbst die vielfach als anachronistisches Schnarchformat verachtete Vorlesung als die ultimative Manifestation eines von Geistesblitzen durchzuckten Wetterleuchtens des herrschaftsfreien Diskurses.
Das Schlagwort der Stunde heißt „hybride Lehre“, und was den einen als Versprechen einer höheren individuellen Flexibilität im Zeitmanagement zwischen Studium, Beruf und Betreuungstätigkeiten erscheint, gilt den anderen als neoliberale Nemesis, die der „freien, kritischen und spontanen Werkstattatmosphäre“ (Florian Klenk) in den Hörsälen das ohnedies nur noch schüchtern flackernde Lebenslichtlein endgültig ausbläst.
Ich bin ein vehementer Verfechter der Präsenzlehre und bekennender Hörsaalromantiker und werde das im Folgenden zu begründen suchen. Aber aus der Zeit meines Erststudiums erinnere ich mich nicht an sehr viele Vorlesungen, die die Epitheta „frei“ und „kritisch“ verdient hätten, und von „Werkstattatmosphäre“ konnte in einem bis auf den letzten Sitzplatz besetzten Audimax ohnedies keine Rede sein, ganz im Gegenteil. Dass ich es mit dem Lehramt dann doch nicht bis zum bitteren (?) Ende getrieben habe, verdanke ich den Pädagogen und Pädagoginnen. Warum, so fragte ich mich viele viskose Vorlesungsstunden lang, machen sich ausgerechnet die Fadgas verbreitenden Vertreter dieses Faches anheischig, angehenden Lehrerinnen und Lehrern das Unterrichten beizubringen?