Blattkritik
Die Kronen Zeitung tut dem Kanzler mit einem Schmeichelinterview einen großen Gefallen
Bundeskanzler Sebastian Kurz ist auf Dienstreise in New York. In Wien wird seine Einvernahme vor dem Richter wegen mutmaßlicher Falschaussage vor dem Ibiza-Untersuchungsausschuss publik. Das Interview, das der mitgereiste Krone-Redakteur Kurt Seinitz dazu nach Wien schickt, ist ein Musterbeispiel für Gefälligkeitsjournalismus.
Nach einem Zahnarzttermin fragt man: "Hat's weh getan?" Nach einem Richtertermin fragt man: "War's schwierig?" So lautet Seinitz' erste Frage an den Kanzler, und in diesem komplizenhaften Ton geht es munter weiter. "Ist die Einvernahme aus Ihrer Sicht fair verlaufen?", fragt Seinitz, als wäre die Justiz befangen. "Schaut es aus Ihrer Sicht jetzt nach einer Anklage aus?", fragt er den Kanzler, der das wenig überraschend bejaht. Schließlich habe er immer mit einer Anklage gerechnet.
Das hätte Seinitz - nach kurzem Blick ins Archiv - wissen müssen und sich die Frage sparen können. Aber er will offenbar lieber am Bild des Kanzlers als Opfer einer Politjustiz mitmalen. "Die ganze Affäre hängt wie ein Damoklesschwert über Ihnen. Wird dadurch Ihre Arbeit erschwert?", hakt der Reporter mitfühlend nach. "Ich lasse mich nicht von der Arbeit abhalten. Entschuldigen Sie mich jetzt, ich muss zu US-Präsident Joe Biden." Ein Gespräch, wie es die Kanzler-PR-Abteilung nicht besser hätte erfinden können.