„Witz ist auch eine Form von Geist“

Barbi Marković und Elias Hirschl kommen aus der lebendigen Indie-Szene der Literatur. Zur Messe Buch Wien: Ein Gespräch über Proust und Poetry Slam, Cliquen und Solidarität, Schimpftiraden und Worthülsen

Sebastian Fasthuber
FALTER:WOCHE, FALTER 44/21 vom 02.11.2021

Foto: Heribert Corn

Am 10. November beginnt mit der Langen Nacht der Bücher die Buch Wien 21. Nach einem pandemiebedingten Jahr Pause kann die heimische Buchmesse heuer wieder stattfinden. Elias Hirschl, 1994 in Wien geboren, und Barbi Marković, 1980 in Belgrad geboren, sind natürlich mit dabei. Sie haben mit „Salonfähig“ bzw. „Die verschissene Zeit“ zwei der stärksten Romane der Herbstsaison vorgelegt; Hirschl ist mit seiner Stilparodie der Politrhetorik von Sebastian Kurz & Co sogar ein Verkaufsschlager gelungen.

Falter: Um mit einer Sportreporter-Frage zu beginnen: Herr Hirschl, wie fühlt es sich an, plötzlich einen Aufreger-Roman geschrieben zu haben und internationalen Medien anhand von „Salonfähig“ Österreich zu erklären?


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Elias Hirschl: Eh super. Es ist sehr stressig, aber momentan noch guter Stress. Wenn das Buch nicht von vielen als Abrechnung mit dem System Kurz gelesen würde, würde es auch nicht so breit interessieren. Schon gar nicht in Deutschland. Mit Politik kenne ich mich eigentlich gar nicht sonderlich gut aus. Ich habe nur so weit recherchiert, wie ich es für meinen Roman gebraucht habe. Damit ich etwas mehr Ahnung habe, wovon ich rede, habe ich mir inzwischen das Buch „Radikalisierter Konservatismus“ von Natascha Strobl gekauft.

Barbi Marković, wie ist das als Kollegin? Freuen Sie sich mit über den Erfolg, oder sind Sie ein bisschen neidisch?

Barbi Marković: Nein, da ist genug Platz für Freude. Das Buch von Elias ist gut, das ist für mich die Hauptsache. Wir haben ja fast Buchzwillinge zur Welt gebracht. Schon vor drei Jahren, als unsere Texte noch ganz am Anfang standen, haben wir Auszüge daraus gemeinsam in der Österreichischen Gesellschaft für Literatur gelesen. Bei mir passiert im Moment nichts Außergewöhnliches. Aber ich weiß von meinem Thomas-Bernhard-Buch „Ausgehen“ noch, wie es sich anfühlt, über Sachen gefragt zu werden, bei denen man sich nicht auskennt. Man überlebt es.

Sie bewegen sich beide vorrangig in der Indie-Szene der Literatur. Wie stark ist der Zusammenhalt innerhalb dieses Zirkels?

Marković: Das Ganze läuft erstaunlich freundlich ab. Zusammenarbeit und Solidarität werden ernst genommen, und es gibt da mehrere Gruppen, die sich zum Teil überschneiden. Eine mit Leuten, die an der Angewandten studiert haben. Oder die „Wiener Grippe“ um Lydia Haider und Stefanie Sargnagel, wo ich auch dabei bin.

Hirschl: Ich war lange Zeit sehr viel im Café Anno. Das ist ein kleines Universum für sich, wo jeden Donnertag und Sonntag gelesen wird. Ähnliche Sachen finden im Café Dezentral und im Kulturcafé Max statt. Es entstehen laufend neue Projekte.

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Was ist der Unterschied zu einer Lesung im Literaturhaus oder in der Alten Schmiede?

Hirschl: Man kann sich in diesen Räumen austoben. Im Anno haben sie eine sehr coole Einladungspolitik. Jeder, der fragt, darf dort lesen. Allerdings dauert es dadurch ewig. Ich bin im April 2022 wieder dran. Eigentlich ist das schön: Man hat einen Termin, aber noch keine Ahnung, was man lesen wird. Das entscheidet man zwei Wochen vorher.

Heuer gibt es mit der Buch Wien wieder eine Veranstaltung, bei der sich die gesamte Branche trifft. Wo stehen Sie im Literaturbetrieb, noch eher am Rand oder schon mittendrin?

Marković: Ich komme mir nicht arriviert vor. Okay, ich habe Lesungen im seriösen Rahmen. Aber das bildet nicht mein Leben und auch nicht meine Poetik ab. In beidem habe ich mehr mit der Indie-Szene zu tun.

Hirschl: Als Außenseiter fühle ich mich nicht. Es gibt allerdings Kreise, zu denen vor allem ein Altersabstand besteht. Meine erfolgreichen Verlagskollegen bei Zsolnay wie Franzobel oder Daniel Glattauer sind um die 60. Die kenne ich jetzt nicht so gut. Ich habe neulich in Bad Aussee im Literaturhotel Wasnerin gelesen. Dort gibt es ein Stipendium, wo man zwei Wochen wohnen kann. Mir kommt vor, das schustern sich die Autoren gegenseitig zu. Anscheinend existieren da noch einmal abgeschlossene Cliquen. Ich weiß aber ehrlich gesagt nicht, wer drin ist.

Sie selbst kommen vom Poetry Slam. Welche Möglichkeiten bietet Ihnen dieses Format?

Hirschl: Slam ist für mich nach wie vor super, um Texte auszuprobieren. Man merkt gleich, ob sie beim Publikum funktionieren oder nicht. Ich mache auf einer Slam-Bühne im Grunde nichts anderes als schriftlich, nur ist es vielleicht spannender vorgelesen. Meist sind das Monologe und kurze Essays. Ich würde nie reimen. Kürzlich war ich mit meinem Cousin in Glasgow auf einem Rap-Konzert. Es ist faszinierend, wie die Leute in der englischen Sprache ein ganz selbstverständliches Pathos haben können. Das geht im Deutschen einfach nicht.

Frau Marković, haben Sie je geslammt?

Marković: Nein. Mich stört die Abwesenheit jeglicher Selbstironie in diesem Genre. Erstaunlich, dass du von da kommst.

Hirschl: Zum Teil verstehe ich die Vorbehalte gegen Slam eh. Jede Person, die will, kann lesen. Dadurch sind natürlich auch schlechte Texte dabei.

Marković: In den Nullerjahren fand ich Leute wie Saul Williams oder Linton Kwesi Johnson noch super. Die machen Musik mit Spoken-Word-Charakter an der Grenze zu Poetry Slam. Aber auch da gibt es viel Bullshit.

Sie arbeiten beide gern mit dem Element der Komik. Welche Rolle spielt Humor in Ihrer Arbeit?

Hirschl: Es muss nicht alles lustig sein. Aber für mich ist es spannender, so zu schreiben. Manchmal wende ich die Struktur von Witzen auf traurige Texte an. Nur ernste oder todtraurige Sachen zu schreiben, würde mich deprimieren.

Marković: Ich habe das Gefühl, ich bewege mich dauernd auf einer Kante, wo man sich beim Lesen fragt: Ist das jetzt lustig? Ich mag Witze, die einem im Hals stecken bleiben. So schreibe und kommuniziere ich mit Vorliebe. Ich kann etwas Wichtiges ansprechen, aber gleichzeitig in alle Richtungen Scherze machen. Witz ist auch eine Form von Geist und Intelligenz, irgendwas sagen die meisten Witze ja aus.

Sind Witze immer noch hinderlich, um als ernsthafte Literatur durchzugehen?

Hirschl: Mir wurde sehr oft gesagt, dass mein letzter Roman „Hundert schwarze Nähmaschinen“ ein arger Wandel war, ein Sprung zu ernsthafter Literatur. Das stimmt zum Teil sicher. Aber ich arbeite mit den gleichen Mitteln wie früher. Nur kann man sich inzwischen in meine Figuren einfühlen, weil sie dreidimensional sind. Trotzdem habe ich auch über „Salonfähig“ schon jemand dozieren gehört, das sei am Rande zu hoher Literatur, aber da fehle noch ein bisschen was. Man kann es nie jedem recht machen.

Marković: Aus meiner Sicht versuche ich eine ernsthafte, hohe Literatur zu erreichen, wie ich sie mir immer schon zu schreiben gewünscht habe. Andererseits bin ich immer noch eine Frau und aus Serbien. Die Rezeption findet meist auf anderen Ebenen als im Feuilleton statt. Wirklich unglücklich bin ich nicht darüber.

„Die verschissene Zeit“ ist das erste Buch, das Sie komplett auf Deutsch geschrieben haben. Wie war der Übergang vom Serbischen?

Marković: Das ist allmählich passiert. Ich lebe seit 15 Jahren in Wien. An meinem Deutsch arbeite ich schon seit der dritten Klasse Grundschule. Es wird langsam. Hier erlebe und kommuniziere ich auf Deutsch. Die Menge an Sachen, die ich nur in dieser Sprache kennengelernt habe, wächst. Deshalb ist es sinnvoll für mich, auf Deutsch zu schreiben. Vielleicht habe ich keinen so reichen Wortschatz, wie ich gern hätte. Das kann man aber ins Positive wenden. Dadurch habe ich die Freiheit, auch einmal schlecht zu sein.

Ihr Roman zeichnet sich durch eine derbe Sprache aus, es wird lustvoll drauflos geschimpft. Haben Sie die entsprechenden Begriffe eingedeutscht oder sind das Erfindungen?

Marković: Dieses Buch simuliert eine ganze Welt: Belgrad in den 1990ern. Die Sprache soll die Leser reinholen. Ich habe serbische Schimpfwörter gesammelt und wortwörtlich übersetzt, aber auch welche erfunden. Bei vielen habe ich das Gender gewechselt. Begonnen hat das, als ich die erste Schimpftirade für das Buch geschrieben hatte. Ich habe mich gefragt: Was passiert, wenn ich das übersetze und ein bisschen rhythmisiere? Für mich wird es fast poetisch. Deswegen habe ich das weitergetrieben.

Hirschl: Ich finde diese Tiraden sehr lustig. Wir hatten vor ein paar Wochen einen gemeinsamen Abend am Karlsplatz. Ich habe während deiner Lesung die ganze Zeit nur gelacht. Wahrscheinlich habe ich dich gestört.

Marković: Überhaupt nicht. Umgekehrt ging es mir auch so. Unser Kollege Marko Dinić war im Publikum. Wir zwei sind bei deiner Lesung jedes Mal in Lachen ausgebrochen. Gegenseitig unterhalten können wir uns offenbar.

„Die verschissene Zeit“ basiert auf Ihrer Jugend im Belgrad der 90er-Jahre. Der Titel erinnert an Marcel Prousts „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“. Wie verlief bei Ihnen das Erinnern?

Marković: Nach meinem Roman „Superheldinnen“ war ich zunächst erleichtert. Ich dachte, jetzt muss ich nie mehr darüber schreiben, Serbin zu sein. Falsch gedacht, denn dann sind mir die 1990er eingefallen. Ich verbinde damit Klein-Mafia-Strukturen, eine patriarchal-verrückte Umgebung und das Erstarken des Nationalismus. Es war eine arge Zeit. Wenn ich schon sowas erlebt habe, musste ich irgendwann auch darüber schreiben. Proust-Fan war ich schon als Jugendliche, ich habe ihn in komplett überfüllten Belgrader Bussen gelesen. Seine Erinnerungsversuche haben mich fasziniert. Nun bin ich in meine eigenen Erinnerungen gegangen.

Sie haben um den Roman ein ganzes Rollenspiel entwickelt. Mit welcher Motivation?

Marković: Es sollte nicht nur um meine Jugend gehen. Ich wollte mich mit verschiedenen Leuten in dieser Zeit und Welt bewegen. Durch das Spiel habe ich eine Maschinerie entwickelt, einen Erinnerungsraum, in dem ich arbeiten konnte. Das Buch ist dadurch anders geworden als ursprünglich gedacht. Und zum Glück noch besser.

Herr Hirschl, Sie arbeiten sich in „Salonfähig“ an den leeren Worten der Politrhetorik ab. Wie haben Sie sich diese Sprache angeeignet?

Hirschl: Zum einen habe ich mir Interviews angeschaut. Bei Armin Wolf merkt man sehr schön, wie Leute manchmal stolpern, weil ihre Rhetorik nicht mehr funktioniert. Ganz viel habe ich aus Lebensratgebern und von Websites mit Beziehungstipps. Und ich habe aus den Grundsatzprogrammen der ÖVP, EVP und diversen anderen konservativen Parteien abgeschrieben. Damit ich nichts plagiiere, habe ich diese Phrasen etwas verfremdet und zum Teil den Kontext geändert. Mein Erzähler monologisiert etwa einmal in der Sprache eines Parteiprogramms über Pornos. Ich mag es, Zitate zweckzuentfremden.

War es beim Schreiben nicht mühsam, im Kopf dieser Figur zu leben?

Hirschl: Nein, ich fand es sehr lustig. Irgendwann hat man den Duktus drauf und kann in dieser Sprache schreiben und reden. Deprimierend war nur, dass diese NLP- und Rhetorik-Sachen auch Pick-up-Artists anwenden, um Frauen aufzureißen. Es gibt arge Foren, in denen man zuschauen kann, wie sich junge Männer radikalisieren. Das sind vereinsamte Menschen. Im Netz kriegen sie plötzlich Zuspruch für ihren Sexismus und ihre Gewaltfantasien. Ich habe überlegt, ob ich meinem Protagonisten auch so etwas andichte, aber das wäre mir zu billig gewesen.

Marković: Du hast eine gute Dosis gefunden. Die Figur ist unsympathisch, aber eben nicht ausschließlich. Letztlich ist dein Protagonist trotz allem nicht ganz zu verachten. Man wünscht ihm immer noch das Beste in seiner verrückten Welt.

Ihre Texte zeichnen sich jeweils durch einen spielerischen Umgang mit der Sprache aus. Was reizt Sie daran?

Marković: Ich kann beim Schreiben meine Defizite im Denken, Sprechen und Wissen korrigieren. Alles, was ich in Echtzeit nie parat habe, wenn ich es brauche, kommt, wenn ich mich hinsetze und in der Sprache etwas mache. Ich war früher ein Riesenfan von formalen Experimenten. Das Buch „Needle in the Groove“ von Jeff Noon hat mich fasziniert. Es ist im Two-Step-Rhythmus geschrieben und handelt von einer Droge, die Musik ist. Bei jedem Buch versuche ich, eine Form zu erschaffen, die mir Material liefert und zu einem bestmöglichen Inhalt führt.

Hirschl: Ich habe viel postmoderne Literatur gelesen. Autoren wie David Foster Wallace oder Mark Z. Danielewski spielen mit aufgelösten Erzählperspektiven und springen ständig zwischen den Ebenen. Das hat sich für mich aber ein bisschen abgenützt. Ich mag momentan Bücher, die relativ straight von A nach B etwas durcherzählen. Bei „Salonfähig“ habe ich mir zum ersten Mal Gedanken über die Perspektive gemacht. Es hätte in der dritten Person nicht funktioniert, man muss im Kopf dieses Typen stecken. Oft kennt man sich nicht ganz aus, wo man ist, aber der Figur geht es gleich. Der Erzähler ist mindestens genauso verwirrt wie der Leser. Das gefällt mir.

Marković: Mir gefällt das auch. Es ist immer schön, wenn man mit Kollegen zu tun hat und ihre Arbeit gut findet. Ich bin froh, dass du nichts unangenehm Poetisches geschrieben hast.F


Barbi Marković,

geboren 1980 in Belgrad, lebt seit 2006 in Wien. Sie studierte Germanistik und debütierte 2009 mit dem Text „Ausgehen“, der Thomas Bernhards „Gehen“ in die Belgrader Clubszene übertrug. Als Stadtschreiberin von Graz realisierte sie das Projekt „Graz Alexanderplatz“

Barbi Marković: Die verschissene Zeit. Residenz, 304 S. inkl. Beiheft, € 24,–


Elias Hirschl,

1994 in Wien geboren, schrieb schon als Jugendlicher erste Romane. Sein Debüt „Der einzige Dorfbewohner mit Telefonanschluss“ erschien 2015. Hirschl macht auch Musik (aktuell im Duo Ein Gespenst), ist Teil des FM4-Comedy-Formats „Das Magische Auge“ und immer noch auf Poetry-Slam-Bühnen zu erleben

Elias Hirschl: Salonfähig. Zsolnay, 254 S., € 22,70

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