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Anstelle von Regie oder Realisation heißt es im Vorspann bloß: Ghoul. Leichenfledderer. Ein vielsagender Credit, den sich Filmemacher Norbert Pfaffenbichler da selbst zugedacht hat. Erstens ist er eine gewitzte Anspielung auf den gleichnamigen Horrorfilm ("The Ghoul", 1933) mit Boris Karloff, jenem Star des fantastischen Kinos, dem Pfaffenbichler seine Arbeit "A Masque of Madness" gewidmet hat. Und zweitens ist er durchaus ernst gemeint: "Ich gehöre nicht zur filmischen Avantgarde (den Vorreitern), sondern zur Arrièregarde (der Nachhut)", hat der 54-Jährige in einem Interview mit der Zeitschrift kolik einmal bemerkt. "Ich sammle nach der Schlacht auf, was mir brauchbar erscheint, und montiere dann - wie Dr. Frankenstein - aus den Fragmenten etwas Neues und belebe es wieder."
Und wie! Ein wahres Pandämonium aus Explosionen, Feuer, Luftkrieg, Blitz und Donner bricht sich Bahn. Verblüffend anzuschauen, wie nahtlos Filmszene an Filmszene passt: So kann Karloff mit dem Revolver drohen und - Schnitt! - selbst tödlich getroffen zusammensinken, auch wenn 30 Jahre und der Wechsel von Schwarzweiß zu Farbe dazwischen liegen.
"A Masque of Madness"(2013) gehört zu den stärksten Einträgen aus Pfaffenbichlers fesselnden "Notes on Film", einem seit bald 20 Jahren in verschiedene Richtungen auswuchernden Zyklus experimenteller Studien, die ikonografische Erscheinungen wie etwa Filmstars analysieren, dekonstruieren und zu guter Letzt wieder zu Figuren in neuen (Meta-)Erzählungen aufbauen.
Stilprägend für Karloff wurde seine empathische Darstellung von Frankensteins furchterregendem Monster, das ihn zur Ikone des Horrorgenres schlechthin machte. In der Folge verkörperte er den unheimlichen Archetyp in immer neuen Variationen: Mumien, Grabschänder, Hypnotiseure. Die einstündige Passage durch seine Karriere endet mit dem Auftauchen aus einer tiefen Trance: "Bei drei werden Sie erwachen - und sich an nichts erinnern."
Norbert Pfaffenbichler, 1967 in Steyr geboren, zählt zu den profiliertesten Filmkünstlern des Landes. Er schöpft aus dem Fundus dessen, "was vom Kino übrig blieb", wie auch eine Ausstellung im Grazer Künstlerhaus hieß, für die der vielseitige Filmer und Kurator 2018 zusammen mit Sandro Droschl verantwortlich zeichnete.
Doch seine Interessen schließen Musik, Tanz, Architektur genauso mit ein. So etwa steht am Beginn seiner "Notes" die Zusammenarbeit mit Eva Jantschitsch alias Gustav, die in "notes on film 01 else" wie einst die Jahrhundertschauspielerin Elisabeth Bergner als "Fräulein Else" im schneeweißen Pelzmantel vor der Kamera posiert; und gewiss nicht zufällig findet sich mit Bernhard Lang ein bedeutender Komponist unter seinen langjährigen Komplizen.
Von 5. bis 22. November bietet das Filmmuseum die seltene Gelegenheit, das bisherige Gesamtwerk Pfaffenbichlers in Augenschein zu nehmen. Dazu kommt ein Carteblanche-Programm mit einigen zentralen Referenzfilmen, auf die er mit seinen Arbeiten mehr oder weniger direkt Bezug genommen hat.
Die Auswahl reicht von Slapstick mit Laurel und Hardy über den originalen "King Kong" und den Trash-Trip "Necronomicon" von Kultfilmer Jesús Franco bis zum Nachkriegsdrama "Der letzte Akt", für den Erich Maria Remarque und Fritz Habeck das Drehbuch schrieben und die letzten Tage der NS-Herrschaft als gruseliges Wachsfigurenkabinett imaginierten.
Burgtheatermime Albin Skoda spielte 1955 in diesem Film den "Führer". Seither haben sich Alec Guinness, Udo Kier, Mel Brooks, Helge Schneider, Robert Carlyle, Hubsi Kramar, John Cleese, Bruno Ganz und noch 50 andere Schauspieler in diesem Part versucht. In seinem Kurzfilm "Conference (Notes on Film 05)" von 2011 holt Pfaffenbichler diese fiktiven Hitlers nacheinander ans Licht, fast ausschließlich in Close-ups, so, als dulde selbst seine Darstellung nichts im Bild neben sich. Für die Tonspur dieser gespenstisch-grotesken Prozession sorgt der befreundete Musiker Bernhard Lang; es knistert und knarzt böse. Dass der Abspann quasi als Vorspann heraufrollt, gemahnt daran, dass auch der Siegeszug der Nazis im Kino erst nach ihrem Untergang so richtig begann.
"Ich versuche in meiner künstlerischen Praxis, bestimmte Erkenntnisse zu erlangen und diese dann auf eine kurzweilige Art und Weise zu vermitteln", sagt der Filmemacher im kolik-Interview. "Wenn die Arbeiten auf mehreren Ebenen funktionieren, habe ich mein Ziel erreicht."
Dass sein Werk oft unter "Found Footage" läuft, nimmt Pfaffenbichler gelassen. Tatsächlich jedoch gehen den meisten seiner Arbeiten umfangreiche Recherchen voraus. So montierte er 2013 für "A Messenger From the Shadows (Notes on Film 06 A/Monologue 01)" Szenen aus allen 46 überlieferten Stummfilmen von Lon Chaney zum bewegenden Tribut an diesen als "Mann mit den 1000 Gesichtern" legendär gewordenen Star des Horrorkinos.
In jeder Hinsicht noch maßloser ist "Invest in Failure (Notes on Film 06-C, Monologue 03)", seine 2018 vollendete Studie über James Mason. Die Filmografie dieses britischen Schauspielgiganten, der gebrochenen Typen mindestens so glaubwürdig Ausdruck verleihen konnte wie toxischer Männlichkeit, zählt an die 160 Titel. Und das Ergebnis? Echt ein Hammer.
"Zähigkeit und Geistesblitz zeichnen ihn ebenso aus wie der Taumel und die Euphorie in seinen filmischen Grenzgängen und sein rebellischer Humor", heißt es im Statement der Jury über Norbert Pfaffenbichler, der vergangenes Jahr mit dem Österreichischen Kunstpreis ausgezeichnet wurde.
Mittlerweile hat er noch einen Gang zugelegt. Hinter dem kryptischen Titel "2551.01" verbirgt sich Pfaffenbichlers erster "Spielfilm", eine Art labyrinthisches Update von Charlie Chaplins "The Kid". Buchstäblich: filmischer Underground, taktiles Kino mit Stroboskopeffekten und Bildern wie aus Abu Ghraib.
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Norbert Pfaffenbichler: Gesamtwerk und Carte blanche, 5. bis 22.11. im Filmmuseum