Verschwinde! Die Politik des „No Platformings“
Immer öfter werden Andersdenkende von Studierenden aus dem Hörsaal gepfiffen. Nun trifft es sogar linke Feministinnen. Ist die Redefreiheit in Gefahr? Oder kommen endlich Minderheiten gebührend zu Wort? Ein Überblick über eine riskante Entwicklung

Illustration: PM Hoffmann
Achtzehn Jahre lang hatte Kathleen Stock Philosophie an der Universität von Sussex in England unterrichtet. Ende Oktober reichte sie ihre Kündigung ein. Der 49-jährigen feministischen Professorin war die Kritik an ihren Positionen zu viel geworden. Weil sie öffentlich die Meinung vertreten hatte, dass es Menschen juristisch nicht einfacher gemacht werden soll, das Geschlecht zu wechseln, geriet sie in Konflikt mit der Transgender-Community. Professorin Stock wurde vorgeworfen, transphob zu sein.
„Kathleen Stock ist nicht transphob, sie ist nur der Meinung, dass es spezifische Frauenrechte geben sollte“, sagt Selina Todd, Professorin für moderne Geschichte in Oxford, die ebenfalls wegen ihrer feministischen Positionen hart angegriffen wird. „Studierende fühlten sich intellektuell von Kathleen Stock bedroht“, sagt dagegen Studentinnenvertreterin Amelia Jones. Die Transgender-Aktivisten beanspruchen für sich, sich ihr Geschlecht aussuchen zu können, inklusive der jeweiligen Rechte. Die Unileitung stellte sich bis zum Schluss hinter die Professorin. Stock ging trotzdem.
Die Empörung ist oft groß, wenn Studierende im Vereinigten Königreich oder in den Vereinigten Staaten Denkmäler stürzen, Auftritte stören oder auch schon im Vorfeld darauf drängen, dass ihnen nicht genehme Vortragende wieder ausgeladen werden. Von konservativen Kritikern werden diese Versuche gerne als Cancel Culture bezeichnet.