Der Teeroretiker
Aus gutem Grund erhält der US-amerikanische Künstler, Töpfer und Stadtplaner Theaster Gates den renommierten Friedrich-Kiesler-Preis
Foto: Heribert Corn
Der Volkertmarkt im zweiten Wiener Gemeindebezirk wirkt mit seinen Kebap-Standln nicht gerade wie ein heißes Pflaster für zeitgenössische Kunst. Dennoch pilgert seit Jahren eine wachsende art crowd in diese Ecke der Leopoldstadt. Die Anziehungspunkte bilden die beiden Ausstellungsorte Kevin Space und Gomo, die eine jüngere Künstlergeneration featuren.
Nicoleta Auersperg empfängt den Falter im Offspace Gomo, den sie seit 2017 mit ihren Kolleginnen Maria Grün, Mara Novak und Dorothea Trappel betreibt. Derzeit wird dort keine Ausstellung gezeigt. Hinter der straßenseitigen Galerie befinden sich Werkstatt- und Lagerräume, eine Dunkelkammer und ein Büro mit Feuerchen im Kaminofen. "Hier herrscht immer Platznot", seufzt die Künstlerin bei der Führung durch das Gemeinschaftsstudio.
In Auerspergs Lebenslauf sticht sofort der Geburtsort Buenos Aires ins Auge. Ihr Urgroßvater sei vor dem Zweiten Weltkrieg nach Argentinien ausgewandert, erzählt die 1991 geborene Künstlerin. Sie weiß heute nicht mehr, woran sie sich aus ihrer frühen Kindheit in Südamerika tatsächlich erinnert und was nur erzählte Anekdoten sind. Als Vierjährige übersiedelte Klein Nicoleta mit der Familie nach Niederösterreich, "von der 18-Millionen-Metropole in ein 200-Seelen-Dorf".
Eine Frage lässt blitzartig das offene Lächeln aus dem Gesicht der Künstlerin verschwinden: Wie sieht es mit ihrer aristokratischen Herkunft aus? Die in ihrer Familiengenealogie als "Nicoleta Maria Prinzessin von Auersperg" geführte 30-Jährige wirkt unangenehm berührt. Bereits als Kind habe ihr adeliger Namen seltsame Reaktionen hervorgerufen. Vorurteile - positive wie negative - würden ihr auch heute noch häufig begegnen.
In Auerspergs Elternhaus spielte Kunst keine Rolle. "Mich hat schon immer das Nicht-Greifbare interessiert", schildert die Künstlerin, die freimütig ihre Abneigung gegen das Malen und Zeichnen bekennt. Auf der Angewandten wurde sie am Institut Trans Arts aufgenommen, außerdem studierte sie auf der Akademie in der Klasse von Heimo Zobernig.
Zu ihrer Ausbildung zählte auch ein halbjähriger Erasmus-Aufenthalt 2013 in Amsterdam, wo sie an der Gerrit Rietveld Academie Glasbläserei lernte. Für den Atelierbesuch hat Auersperg einige ihrer Glasskulpturen aus dem Lager geholt und aufgebaut. "Die Technik ist so schwer, dass man schon stolz ist, wenn man das Glas auf eine Dicke von einem Zentimeter blasen kann", sagt sie. In Amsterdam experimentierte die Künstlerin auch mit Methoden, um aus der heißen Masse geometrische Figuren zu produzieren. Eine achteckige Glasskulptur präsentiert sie in einer innen durch die Hitze verkohlten Pressform: "Ich hebe so die Materialhierarchie auf, denn normalerweise verschwindet die Holzform wieder in der Versenkung."
An einer rot lackierten Metallhalterung an der Wand hängt ein dickwandiges Gefäß, das entfernt an eine Dekantierkaraffe für teure Weine erinnert. Das kürbisförmige Glasobjekt "Squatter" (deutsch: "Hausbesetzer") ragt leicht über seine Plattform hinaus, so als wäre es im heißen Zustand noch etwas aus dem Leim gegangen. Auersperg setzt die unperfekte Form bewusst ein, möchte sie doch den Entstehungsprozess hervorheben.
Das erfordere jedoch viele Diskussionen mit ihren Glasbläsern in Tschechien. Dort seien nur Männer ohne Handschuhe und Brillen, aber dafür mit Bierflasche zugange. Die Könner wollen alles glatt und dünnwandig herstellen. "Total macho" gehe es in den Werkstätten zu, aber da sie selbst außer Übung ist, braucht die Künstlerin die Profis im Osten.
Durch Auerspergs Arbeiten, etwa ihre Schau "hot to the touch" im Musa/Wien Museum 2019, ziehen sich Anspielungen auf den öffentlichen Raum. So produzierte sie Fahnenstangenhalter aus Stahl, wie sie an Gemeindebauten angebracht sind. Die Künstlerin hat sich auch mit sogenannter "defensiver Architektur" beschäftigt, bei der unliebsame Gruppen wie Obdachlose von der Benutzung urbaner Flächen abgehalten werden sollen.
Als die Straßen während der Lockdowns leer waren, wunderte sich Auersperg über den Trend zum Brotbacken. In Berlin, wo sie für die Bildhauerin Alicja Kwade jobbt, sammelte sie von der Straße alte Stühle auf, die wegen ihrer kaputten geflochtenen Sitzfläche am Müll landeten. "Jetzt werden einzelne handwerkliche Fähigkeiten auf Social Media gehypt, während andere, wie etwa das Flechten, niemanden interessieren."
In ihren jüngsten Skulpturen hat Auersperg Teiggärungskörbe mit Gips abgegossen und mit Stuhlgeflecht verquickt. Aus den "Laiben" stehen nun Weidenstücke heraus, die beiderlei Handwerk in ein schräges Licht rücken.