NACHSPIEL

Die Kulturkritik der Woche

Verhatschter Marsch und schleppender Walzer: Das Neujahrskonzert kam nicht in Schwung

Miriam Damev
Feuilleton, FALTER 02/22 vom 12.01.2022

Wiener Walzer ohne Wiener Philharmoniker? Undenkbar. Heuer begrüßten wieder 50 Millionen Menschen in 90 Ländern beim Neujahrskonzert vor ihren Fernsehern das neue Jahr. Im Musikverein sahen coronabedingt nur 1000 Zuschauer das beschwingte Programm, das Walzer, Märsche und Polkas der Strauß-Dynastie und Zeitgenossen umfasste. Am Pult stand nach 2009 und 2014 zum dritten Mal Daniel Barenboim. Der 79-jährige argentinisch-israelische Dirigent ist den Philharmonikern seit Jahrzehnten eng verbunden.

So richtig in Fahrt kam das Konzert leider nicht, und es scheint, als hätte die allgemein getrübte Stimmung auch die Musik erfasst. Mit ernster Miene führte Barenboim durch den Vormittag - gut, dass zumindest die Philharmoniker sichtbare Lust am Spielen hatten. Die perfekte Einheit des Orchesters, das warme Blech, die blitzsauberen Geigen oder die süffigen Celli adeln die Melodien dieser einmaligen Wiener Tanzmusik. Kein anderer Klangkörper kann das besser.

Vieles klang dennoch verhalten, geradezu gemächlich. Beim "Persischen Marsch" etwa, der trotz Schönklang das Freche, Ausgelassene schmerzlich vermissen ließ. Wie in Zeitlupe zogen die "Morgenblätter" vorbei; wenig prickelnd blieb trotz Sektkorken der "Champagner-Walzer". Nicht einmal bei Ziehrers genialem "Nachtschwärmer"-Walzer ließ sich Barenboim zu etwas mehr Heiterkeit hinreißen. Lichtblicke gab es dennoch: die virtuose "Fledermaus"-Ouvertüre, eine rasende "Kleine Chronik"-Polka und der bezaubernde "Sphärenklänge"-Walzer -Barenboims Lieblingsstück. Kommendes Jahr darf wieder Franz Welser-Möst ran, so wie bereits 2011 und 2013. Dann bitte wieder mit mehr Schwung und Schmäh ins neue Jahr.

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