Rotes Räumkommando
Ein Polizeieinsatz im Protestcamp der Stadtstraßen-Gegner beendet die Besetzungsaktionen in der Hausfeldstraße: Wie es dazu kam und was die Aktivistinnen und Aktivisten jetzt tun wollen.
Es war nur eine Frage der Zeit, bis es passieren würde: Gestern früh hat die Polizei auf Anforderung der Stadt Wien das Protestcamp gegen den Bau der Stadtstraße geräumt, das Klima-Aktivistinnen und -Aktivisten in der Hausfeldstraße im 22. Bezirk eingerichtet und mehr als fünf Monate lang betrieben haben.
Damit wurde ein Teil der längsten Umwelt-Blockade beendet, die Österreich bislang erlebt hat – die legendäre Besetzung der Hainburger Au im Jahr 1984, das Maß aller Öko-Proteste, dauerte im Vergleich dazu nur 14 Tage, änderte allerdings das Bewusstsein der gesamten Gesellschaft auf Jahrzehnte. Ob man das dereinst auch über der Stadtstraßen-Protest sagen wird können, muss sich erst erweisen.

Das Camp in der Hausfeldstraße, ein anderes steht in der Hirschstettner Straße, hatten Klimaaktivisten vor fünf Monaten als eines von mehreren errichtet. Ihr Protest richtete sich ursprünglich gegen die geplante Wiener Außenring-Schnellstraße S1, ein Projekt mit viel Symbolik für die Umweltschützer: Nicht nur, weil es um Österreichs größtes Klimaproblem, den Verkehr, geht – zur Trasse der S1 gehörte auch der umstrittenen Lobautunnel, der unterirdisch durch den Nationalpark Donau-Auen führen sollte. Damit hat die Stadtstraße zwar gar nichts zu tun, sie sollte aber die S1 mit der Südosttangente verbinden, und das nahmen die Aktivisten als Anlass zur Besetzung.
Soviel Sympathie der Stadtstraßen-Besetzung, an der sich mehrere Initiativen und NGOs beteiligten, entgegengebracht wurde, so vehement war auch die Ablehnung. Die Rathausregierung, allen voran Verkehrsstadträtin Ulli Sima und Bürgermeister Michael Ludwig (beide SPÖ), zeigten absolut kein Verständnis für die Aktion. „Na, mit Sicherheit nicht“ werde er die Protestcamps besuchen, um mit den Besetzern zu reden, erklärte Ludwig im Interview mit dem FALTER kategorisch. Ernst Nevivry, SPÖ-Bezirksvorsteher im 22. Bezirk, führte mit der Aktivistin Lena Schilling zwar ein Streitgespräch, ließ sich dabei aber erwartungsgemäß auch keine Zugeständnisse abringen.
Das Rathaus kapriziert sich aus mehreren Gründen vehement auf die Stadtstraße. Erstens soll damit der Autoverkehr in der Donaustadt entlastet werden, zweitens ist ihre Errichtung auch eine behördliche Voraussetzung für den Endausbau der Seestadt Aspern Nord. Und dort geht es um Wohnraum für mindestens 17.500 Menschen. Drittens ist das Projekt auch ein persönliches Anliegen für Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ). Er hatte sich bei der Kampfabstimmung um den Wiener SPÖ-Vorsitz vor vier Jahren die Unterstützung der Donaustädter Genossen durch das Versprechen gesichert, den Bau der Stadtstraße zu finalisieren.
Das Verhältnis zu den Aktivisten kühlte im Lauf der Zeit aber immer mehr ab. Vor allem, nachdem Verkehrsministerin Leonore Gewessler (Grüne) Anfang Dezember das Großprojekt S1 samt Lobautunnel aufgrund einer Evaluierung absagte. Wenn die Wiener Roten gehofft hatten, dass das auch zum Ende der Stadtstraßen-Besetzung führen würde, wurden sie bitter enttäuscht.
Denn die Aktivistinnen und Aktivisten wollten nun auch die Pläne der Stadtstraße vereiteln – oder zumindest eine Redimensionierung der vierspurigen Straße erzwingen, zumal diese nun nach dem Aus des S1-Projekts nicht mehr zwei hochrangige Straßen verbinden würde.
Das sei unmöglich, argumentiert hingegen das Rathaus. Die Stadtstraße verläuft ein gutes Stück unterirdisch, aus Sicherheitsgründen müssten die Tunnels in jede Richtung zweispurig sein. Eine Neuplanung würde das Projekt um viele Jahre verzögern und massiv verteuern.
In der Folge erhöhte die Stadt den Druck: Etwa durch Briefe, in denen mit potenziell existenzbedrohenden Schadenersatzklagen gedroht wurde. Einschlägige Schreiben trafen nicht nur bei Teilnehmern der Besetzung ein, sondern auch bei Sympathisanten, die sich bloß durch Postings im Internet mit dem Protest solidarisch erklärt hatten. Und sogar zwei minderjährige Mädchen.
Was in den sozialen Netzwerken Empörung auslöste, sorgte in der analogen Welt vielfach für Zustimmung: Vor allem im verkehrstechnisch problematischen 22. Bezirk – wenige Öffis, viel Durchzugsverkehr, noch mehr Fläche – war das Verständnis für die Besetzung enden wollend.
Und dann geschah etwas, das weder die Stadt, noch die überwiegende Mehrheit der Gegner des Protests wollen konnten: Ein Brandanschlag auf eine der Unterkünfte, bei dem mehrere Personen in Lebensgefahr gerieten. Der Täter oder die Täterin konnte unerkannt entkommen und wurde bislang nicht ausfindig gemacht.
Inzwischen hatte die Polizei die „Versammlung“ in der Hausfeldstraße bereits für aufgelöst erklärt und die Räumung angekündigt. Vergangenen Donnerstag waren dann Gerüchte aufgetaucht, die Aktion würde unmittelbar bevorstehen. Dutzende Aktivistinnen und Aktivisten verbrachten daraufhin die ganze Nacht im Protestcamp, um das zu verhindern – die Polizeit ließ sich aber nicht blicken.
Als nun tatsächlich hunderte Beamte in der Hausfeldstraße anrückte, waren gerade einmal zwölf Aktivisten waren vor Ort. Die Besetzer hatten mit einem nächtlichen Polizeieinsatz gerechnet – also zu einer Zeit, in der keine U-Bahnen mehr fahren und Unterstützer schwerer zu mobilisieren sind. Oder in den Semesterferien, wenn viele Leute auf Skiurlaub sind.
Aber die Polizei und die Wiener Stadtregierung hatten einen anderen Plan: Sie kamen in der Früh.
Knapp nach acht Uhr wurden die U-Bahn- und Straßenbahn-Haltestellen an der Hausfeldstraße gesperrt und auch Straßen im Umkreis von rund einem Kilometer blockiert. „Damit nicht hunderte Aktivisten kommen und die Aktion stören”, so die Polizei Wien.
Und tatsächlich verliefen die ersten Stunden relativ friedlich.
Polizisten umzingelten das Camp und sperrten das Gelände mit einem Bauzaun ab. Beamte der Sondereinheit WEGA trugen die ersten Aktivisten aus der hölzernen Pyramide inmitten der Donaustädter G’stettn hinaus. Im Hintergrund machten sich Bagger und LKW bereits daran, die von den Aktivisten erbauten Holzhütten niederzureißen, den Schutt abzutransportieren und Bäume zu roden.
Dennoch zog sich die Räumung bis zum Nachmittag.
Denn der harte Kern der Aktivisten hatte sich schon seit Wochen auf den Ernstfall vorbereitet. Workshops wurden abgehalten. Handschellen und Ketten lagen bereit. Als am Donnerstag Gerüchte um eine Räumung kursierten, zogen einige sogar Windeln an, um möglichst lange Widerstand leisten zu können.
Gestern ketteten sich dann zwei Aktivisten an Rohre, die sie zuvor im Boden der hölzernen Pyramide verankert hatten.
Und kampflos aufgeben wollten die Klimaaktivisten auch nicht.
Zwei Stunden nach Beginn der Räumungsaktion waren bereits rund zweihundert Unterstützer am Schauplatz des Geschehens eingetrudelt. „Power to the People, because the People got the Power”, sangen sie, von Trommlern begleitet, im Chor. Aus Solidarität mit den zwei Angeketteten.
Aber kurz nach zehn Uhr eskalierte die Situation. Zwischen fünf und zehn Aktivisten liefen auf die Polizeiabsperrung zu, rissen die Bauzäune aus ihren Halterungen und stürmten das Gelände: „Wir sind friedlich, was seid ihr”, skandierten sie dabei ganz und gar nicht ironisch.
Die Polizisten stellten sich ihnen entgegen, umzingelten einen Aktivisten in Schildkrötenformation und drohten damit, Pfefferspray einzusetzen (was sie bei einer späteren Aktion dann auch taten). Zumindest zwei Aktivisten konnten die Absperrung aber dennoch durchbrechen und ließen sich im Sitzstreik vor der Pyramide nieder. Minuten später wurden sie aber schon abgeführt.
Die Stimmung war auch bei den anderen Teilnehmern angespannt. Einige Demo-Teilnehmer stritten sich mit Journalisten, weil die Pressevertreter den FPÖ-Politiker Tony Mahdalik interviewten – einen aus ihrer Sicht falschen Gesprächspartner. Ein paar Meter weiter kletterten junge Erwachsene auf Bäume, besetzten Bagger und begannen einen Sitzstreik auf der Hausfeldstraße, um der Polizei das Durchkommen zu erschweren.
Knapp sechs Stunden dauert es, bis die zwei Aktivisten losgekettet werden konnten und die Hausfeldstraße vollständig geräumt war. 48 Aktivisten wurden (Stand Dienstagabend) festgenommen. Der Konflikt ist damit aber nicht vorbei. Weitere Aktionen sind bereits angekündigt.
Die Aktivistin Martha Krumpeck ist seit gestern im Hungerstreik (und das nicht zum ersten Mal). Am Dienstagabend demonstrierten hunderte vor der SPÖ-Zentrale in der Löwelstraße. Dort waren allerdings um 18 Uhr schon alle Fenster finster.
Für kommende Woche haben Extinction-Rebellion, Jugendrat, Fridays For Future, System Change, not Climate Change und Co. eine weitere Großdemonstration geplant. Einige Aktivistinnen zeigen sich auch zu handfesteren Aktionen bereit. Die Rede ist etwa davon, Baumaschinen lahmzulegen.
Bei der zweiten besetzten Baustelle in der Hirschstettner Straße steht eine Räumung derzeit übrigens nicht im Raum. Das Grundstück gehört nämlich der Asfinag und nicht der Stadt Wien. Und die Straßenbaugesellschaft will weiterhin auf den Dialog mit den Aktivistinnen und Aktivisten setzen. Zumindest in den Wintermonaten, in denen die Arbeiten „auf ein absolutes Minimum“ heruntergefahren wurden, wie es zuletzt gegenüber FALTER.morgen hieß.
Währenddessen beteuert die Stadt Wien, weiterhin „gesprächsbereit“ zu sein: „Meine Hand bleibt ausgestreckt“, teilte Stadträtin Sima per Presseaussendung mit: „Als Innovationsstadt ist Wien stets offen für neue Ideen und Anregungen.“