Inseratenaffäre: Wie Ex-Ministerin Sophie Karmasin der U-Haft entkommen will

Gelöbnis statt Geständnis – Auszüge aus einem bemerkenswerten Enthaftungsantrag

Florian Klenk
FALTER.MORGEN, 11.03.2022

Kennen Sie das Graue Haus? Es liegt an der Zweierlinie Ecke Alserstraße an einem ehemaligen Hinrichtungsplatz und ist eines der bedrückendsten Gebäude Wiens. Menschen dort einzusperren ist nicht mehr zeitgemäß. Sie können sich das Gefängnis via Google Maps von oben anschauen.

Einen „Hades“ nannte der kürzlich verstorbene Schriftsteller Gerhard Roth das „Landl“ in diesem exzellenten Buch. Es sei ein Bau, der jene, die es betreten, sofort verschlucke. Fast 1.000 Menschen sitzen dort ein, die Zellen sind dreckig, dunkel, der Spaziergang im Freien findet in einem betonierten Spazierhof statt. Die Böden sind in den 1980er-Jahren absichtlich schwarz gestrichen worden, die Abgabe von Antidepressiva enorm.

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Ich selbst habe dort noch während meines Gerichtsjahres in den 1990er-Jahren Gitterkäfige gesehen, in die sogenannte „renitente Häftlinge“ gesperrt wurden. Vor einiger Zeit habe ich diese und diese Reportage geschrieben, in der gezeigt wurde, wie der Personalmangel im Grauen Haus zu Katastrophen führt: Ein 14-Jähriger wurde vergewaltigt, ein Asylwerber wäre in einem Feuer fast verbrannt. Das Graue Haus gehört eigentlich abgerissen, sagen fortschrittliche Justizkritiker, stattdessen wird es gerade um hunderte Millionen saniert.

Warum ich Ihnen das alles erzähle? Seit vergangener Woche sitzt dort auch eine ehemalige Bundesministerin ein: Sophie Karmasin, einst eine renommierte Meinungsforscherin.

Ein Ex-Regierungsmitglied in Untersuchungshaft – das gab es noch nie in der Zweiten Republik. Sophie Karmasin aber schreibt nun Justizgeschichte. Sie sitzt seit dem 2. März im Gefängnis: Es bestünde, so die WKStA und ein Rechtsschutzrichter, der dringende Tatverdacht der Untreue, der Bestechung und der Geldwäscherei. Karmasin sei nicht nur massiv in die Inseratenaffäre verwickelt, sie soll zudem in Vergabeverfahren zwei Kolleginnen angestiftet haben, teurere Angebote an Ministerien zu legen, um selbst als Billigstbieterin an Studien zu kommen. Und: Sie habe auch noch bei jenen ÖVP-Studien mitgeschnitten, die ihre Kollegin Sabine Beinschab eingestandenermaßen dem Finanzministerium mit Scheinrechnungen verrechnete. Das wäre also Geldwäscherei.

Karmasin bestreitet diese Vorwürfe in einer zweieinhalbstündigen Einvernahme, deren Protokoll dem FALTER vorliegt. In einem Halbsatz lässt sie zwar durchblicken, dass sie vielleicht für einige Vorwürfe die „Verantwortung übernehmen“ könnte. Aber sie müsse sich erst einlesen. Nur soviel hält sie fest: Sie habe keinen Tatplan mit Sebastian Kurz geschmiedet, sie habe auch keinerlei Inseratendeals mit den Verlegern Fellner (Mediengruppe Österreich) geschlossen. Und von Beinschab sei sie in wesentlichen Punkten falsch belastet worden.

In U-Haft genommen wurde Karmasin allerdings wegen des Vorwurfs der „Tatbegehungsgefahr“. Sie habe über einen Zeitraum von fünf Jahren schwere Verbrechen begangen, so der Vorwurf; nicht einmal die Auswertung des Handys von Thomas Schmidt habe sie gestoppt, so die WKStA. Karmasin habe daher „erhebliche kriminelle Energie“. Nur das Haftübel halte sie von weiteren Verbrechen ab.

Harte Bandagen sind das. Karmasins Anwälte Norbert Wess und Philipp Wolm versuchen dennoch, die Ministerin aus dem Gefängnis zu kriegen. Ihre Argumentation ist nicht von der Hand zu weisen.

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Erstens: Karmasin sei keine Ministerin mehr und auch keine Marktforscherin. Im Gegenteil, sie schule gerade auf Psychotherapeutin um und habe schon einen Praktikumsplatz im Uni-Klinikum Tulln. Niemand würde ihr noch eine Umfrage abkaufen.

Zweites Argument: Karmasin habe nach der Hausdurchsuchung „nicht einmal den geringsten Anhaltspunkt geliefert“, eine Straftat gesetzt zu haben.

Drittens: Karmasin könne man auch mit gelinderen Mittel festhalten. Sie sei nicht nur bereit, einen elektronisch überwachten Hausarrest anzutreten, sondern auch eine genaue Dokumentation über ihre Emails, Telefonate und ihre Ausbildung anzufertigen. Sie werde „keinen wie auch immer gearteten Versuch unternehmen, die Ermittlungen zu erschweren“. Und sie werde „jeden Kontakt zu Mitbeschuldigten sowie Zeugen unterlassen“.

Und viertens: Karmasin sei sogar mit „vorläufiger Bewährungshilfe“ einverstanden. Das ist ein erstaunlicher Vorschlag für eine Ex-Ministerin.

Was an der Verteidigungsstrategie auffällt: Karmasin stellt nur einen Enthaftungsantrag, legt aber keine Haftbeschwerde beim Oberlandesgericht ein.  Sie bekämpft (vorerst?) auch nicht den Vorwurf des „dringenden Tatverdachts“. Offenbar will sie den Fall (noch?) nicht den Obergerichten vorlegen, die dann ein Präjudiz schaffen könnten, das ihr schadet.

Viele Details beantwortet sie (noch?) nicht, weil sie sich erst in Unterlagen einlesen und einen Überblick verschaffen wolle. Ändert sie nach genauerer Lektüre von Sabine Beinschabs Geständnis ihre Verantwortung? Ein Geständnis ist laut Gesetz ein wesentlicher Milderungsgrund im Falle einer Verurteilung, das wissen ihre Profi-Verteidiger. Ihre Ex-Geschäftspartnerin, die geständige Sabine Beinschab, kann mittlerweile mit einer Kronzeugenregelung (Buße statt Strafe) rechnen, weil sie reinen Tisch machte. Karmasin drohen bei einer Strafdrohung von bis zu zehn Jahren Haft als Ministerin im Falle einer Verurteilung wohl mindestens drei Jahre unbedingt.

Die müsste sie dann wenigstens nicht im tristen Grauen Haus, sondern im Frauengefängnis der Justizanstalt Schwarzau absitzen, einem ehemaligen Schloss. Es bleibt spannend

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