MUSIKTHEATER Kritik

Endlich wieder "Wozzeck" an der Staatsoper: Starke Bilder und großartige Musik

MIRIAM DAMEV
Lexikon, FALTER 13/22 vom 30.03.2022

Langsam, Wozzeck, langsam!", ruft der Hauptmann. Er sitzt in einem klinisch weißen Raum, den Kopf nach hinten gelehnt, und lässt sich vom Angesprochenen rasieren. "Wozzeck" - die Anrede klingt wie ein Peitschenschlag, hart und aggressiv. Als roter Faden zieht sich dieser Name durch den Abend: vom Doktor, der Wozzeck für medizinische Experimente missbraucht, über den Hauptmann, der ihn ständig demütigt, bis zum Tambourmajor, der mit seiner Frau ins Bett geht. Wozzeck ist eine Randfigur, ein Opfer seiner Lebensumstände -mittellos und ohne Perspektive.

1925 in Berlin uraufgeführt, begann der Siegeszug von Alban Bergs Opernerstling mit Aufführungen von Prag bis Wien, von St. Petersburg bis Oldenburg, von New York bis Philadelphia. "Wozzeck" zählt zu den wenigen Opern des 20. Jahrhunderts, die sich einen festen Platz im Opernrepertoire erobern konnten.

In seiner Neuinszenierung holt der australisch-schweizerische Regisseur Simon Stone die Geschichte ins Hier und Jetzt. Zu sehen ist eine Bühne auf der Bühne, Weiß auf Schwarz, die das Geschehen wie durch ein Guckloch betrachten lässt. Die Konstruktion zeigt etwa einen Würstelstand, ein Krankenzimmer, die U-Bahn-Station Simmering, einen Fitnessraum oder das Schlafzimmer von Wozzeck und Marie. Durch die ständige Bewegung und die Rastlosigkeit der Protagonisten schafft Stone eine packende und zugleich beklemmende Dynamik, die ihren Höhepunkt erreicht, als Wozzeck Marie ermordet. Anstelle des Kubus steht auf der Bühne nun ein dicht bewachsener Hügel, mal in Blutrot, mal in Kupfer und mal in saftiges Grün getränkt.

Bariton Christian Gerhaher ist der ideale Wozzeck: Die Rolle des Gepeinigten singt und spielt er intensiv und beklemmend. Fantastisch auch der übrige Gesang mit Anja Kampe als Marie, Jörg Schneider als Hauptmann, Dmitry Belosselskiy als Doktor und Sean Panikkar als Tambourmajor. Im Orchestergraben erklingen unter der Leitung von Philippe Jordan Bergs berührende Seelen-und Klangräume, die mit expressiver Kraft unmittelbar in ihren Bann ziehen.

Staatsoper, So 20.00

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