"Die Kinder wissen immer noch nicht, dass der Vater nicht mehr am Leben ist"
Stanislaw Asejew interviewt seine neue Nachbarin. Sie hat Butscha überlebt. Über ein Leben im Keller und die Unsagbarkeit des Todes.

Zerstörung in Butscha | Foto: Eva Konzett
Dieses Interview habe ich mit einer „zufälligen“ Person gemacht, von der es mittlerweile Tausende in der ganzen Ukraine gibt. Zufällig, nicht nur, weil wir uns als Nachbarn erst jetzt kennengelernt haben. Meine Gesprächspartnerin sagt, dass sie ganz zufällig überlebt hat, bis zum 7. März in der bereits bekannten Stadt Butscha geblieben ist und zwölf Tage mit ihren Kindern im Keller verbracht hat.
Yulia (Red: Name auf Wunsch der Gesprächspartnerin zu ihrer Sicherheit geändert) ist etwas über vierzig Jahre alt. Und sie hat mich im Haus wiedererkannt, obwohl wir uns noch nie zuvor getroffen hatten. Sie hat nur meine Interviews gesehen. Yulia verabschiedete sich noch von einigen ihrer Verwandten und bat mich, in ihre Wohnung zu kommen. Als ich zu ihr raufging, sah ich Trauer: auf dem Tisch stand ein Porträt ihres Mannes neben einer Kerze. Er starb vor zehn Tagen in Kämpfen mit den Russen auf der Autobahn nach Schytomyr. Das war einer der am meisten umkämpften Sektoren der Verteidigung der Hauptstadt, nördlich davon lagen Butscha und Gostomel. Yulia erfuhr erst vor wenigen Tagen vom Tod ihres Mannes, als seine Leiche endlich gebracht wurde. Deshalb war meine erste Frage an sie:
Asejew: Warum wurden Sie nicht sofort über den Tod Ihres Mannes informiert und warum hat man Ihnen die Leiche nicht gleich übergeben?