Leitbild und Schiebung
In der Ära Kurz vergab das Wirtschaftsministerium offenbar Aufträge, ohne die genauen Angebote zu kennen – etwa für ein neues Leitbild des Hauses. Damit betraut wurde Sophie Karmasin.
Das Schreiben ist konziliant gehalten, am 6. Februar 2019 um 10.59 verschickt es der zuständige Abteilungsleiter des Wirtschaftsministeriums. Es enthält eine Absage für ein renommiertes Team aus Unternehmensberatern, das sich um den Auftrag für die Erstellung des neuen Leitbilds beworben hat. Fünf Mitarbeiter hätte der Geschäftsführer für das Projekt abgestellt, zur „Sonderkondition” von durchschnittlich 1.700 Euro pro Tag. Den Aufwand bezifferte er mit ca. 80 Einsatztagen. Auch Referenzen hatte er angeheftet: Acht Ministerien, internationale Konzerne, Universitäten, Kultureinrichtungen.
Trotzdem zieht er den Kürzeren. Die Entscheidung sei nach einem „längerem Prozess” gefallen, teilt ihm das Wirtschaftsministerium mit. Letztlich seien zwei „sehr sehr gute Angebote” gegeneinander angetreten.

Das ist insofern bemerkenswert, als an diesem 6. Februar die Zweitbieterin, Sophie Karmasin und ihr Unternehmen Karmasin Research & Identity ihr finales Angebot noch gar nicht übermittelt hat. Das geht aus internen Unterlagen hervor, die dem FALTER vorliegen.
Karmasins finale Offerte trudelt erst zwei Tage später, am 8. Februar 2019 im Ministerium ein. Um die Expertise aufzufetten, will sie sich mit einer Subunternehmerin zusammen tun. Tagsatz: 2.300 Euro. Adressiert ist die Offerte auch nicht an den zuständigen Beamten, sondern direkt an den „lieben Michael”, also den Generalsekretär und Kabinettschef von Schramböck, Michael Esterl.
Begleittext: „Herzlichen Dank für das gemeinsame Gespräch, dessen Inhalte wir in unserem aktualisierten Konzept und Angebot entsprechend berücksichtigt haben”.
Hat da ein Kabinettsmitarbeiter geholfen, das Angebot entsprechend nachzubessern? Warum sagt das Ministerium Bietern ab, bevor alle Angebote auf dem Tisch liegen? Das Ministerium will sich in der Causa nicht äußern und verweist auf laufende Ermittlungen der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft. Nur so viel: Am 18. Jänner 2019 habe Karmasin das erste Angebot gelegt. Drei Wochen später dann ein weiteres, mit reduziertem Kostenvoranschlag.
So oder so: Am 19. März 2019 unterschreibt Karmasin den Werkvertrag mit dem Ministerium. Die Vergabe wird in den Unterlagen unter anderem mit dem „preislich günstigsten” Angebot gerechtfertigt. Das geht sich nur deshalb aus, weil Karmasin mit „maximal” 30 Beratertagen weniger als die Hälfte des Aufwands ihres Konkurrenten angibt. Und anschließend einfach laufend Folgeanträge bekommt.
Dreimal wird das Ministerium bei Karmasin bestellen: 2019 um 79.200 Euro, ein Jahr später um 30.0000, und dann noch Corona-Nachhilfe für Abteilungsleiter um 6.000 Euro (mit Umsatzsteuer*). Der letzte Auftrag geht auf den expliziten Wunsch des „HGS” zurück, also auf den Herrn Generalsekretär Michael Esterl, so steht es in einer Email.
Auch das Herzstück des neuen Leitbilds, eine 32-seitige Corona-bedingt online abgehaltene Präsentation vom 12.11. 2020, liegt dem FALTER vor. Das Ministerium hat auf Anfrage die Echtheit nicht dementiert. Viele Bubbles, viel Weißraum, Allgemeinplätze. Demnach will das Ministerium „Motor und Gestalter der Digitalisierung sein” (Seite 5). Ein Weihnachtsgruß mit den Leitbildideen wird angedacht (S. 2). Katechistisch angehaucht die Leitsätze auf Seite 9 mit dem schönen Schluss: „Jetzt und in Zukunft”. Und agil soll der Führungsstil im Hause werden, mit der eigenen agilen „Toolbox” (S. 25).
Der FALTER hat die Präsentation – im Wesentlichen der erste Auftrag in Höhe von 79.800 Euro – Fachleuten aus der Branche vorgelegt. Ihr Urteil: das Ganze sei doch sehr „überschriftenlastig”, nicht sonderlich profund, im Umfang aber nicht „schamlos” bepreist. Kann eine solche Präsentation eine neue Identität schaffen? „Eher nicht”. Laut Ministerium sollen dafür 20 Interviews und eine Onlineumfrage unter den 700 Mitarbeitern des Hauses stattgefunden haben.
Hier können Sie durch die Präsentation blättern:
Nicht schamlos wäre das jedoch nur, wenn den Überschriften Projekte folgten.
Taten sie das? Für die Implementierung hat Karmasins Unternehmen Karmasin Research & Identity noch einmal zwölf Beratertage à 2.083 Euro angefordert. Einen entsprechenden Abschlussbericht oder eine Dokumentation konnte das Ministerium bei einer Anfrage vom 11. März 2022 nicht finden. Später sprach man von rund 40 Meetings mit einer Steuer- und Arbeitsgruppe. Die interne Revision des Ministeriums schaut sich den Zuschlag derzeit an.
Mitarbeiter aus dem Wirtschaftsministerium, mit denen der Falter gesprochen hat, wollen abgesehen von neuen Laptoptaschen und einem Plakat mit dem neuen Leitbild und dem Slogan: “Wir gestalten Zukunft” jedenfalls wenig vom neuen Leitbild mitbekommen haben.
Der FALTER hat den Anwalt von Sophie Karmasin zur Causa kontaktiert. Karmasin habe die weiteren Angebote an den zuständigen Abteilungsleiter geschickt, sagt dieser. An welche Adresse das Erstangebot gegangen sei, könne sie nicht mehr zurückverfolgen.
Fest steht: Adressiert ist es direkt an Generalsekretär Michael Esterl.
Der möchte inzwischen offenbar das Kabinett verlassen und in die Beamtenschaft wechseln. So soll er sich für die ausgeschriebene Leitung der Präsidialsektion im Wirtschaftsministerium beworben haben. Sie hat unter anderem die Agenden Budget und Vergaben inne und gilt als mächtigste Sektion im Haus. Passenderweise scheint in der Ausschreibung für diesen Posten im Gegensatz zu früheren erstmals nicht mehr das Kriterium eines abgeschlossenen Jus-Studiums auf. Esterl hat seinen Abschluss an der Universität für Bodenkultur gemacht.
* In früheren Berichten haben wir die Gesamtkosten mit 125.920 Euro beziffert. Die Differenz ergibt sich daraus, dass Beträge in parlamentarischen Anfragen mehrfach genannt wurden.