Putin am Apparat: Soll man mit dem Kriegstreiber reden?

EVA KONZETT
Politik, FALTER 22/22 vom 01.06.2022

Für diese 45 Minuten Gespräch mit dem russischen Präsidenten musste Karl Nehammer nicht extra nach Moskau reisen. Am Freitag vergangener Woche sprach der Bundeskanzler mit Wladimir Putin am Telefon. Man habe sich über Getreideexporte und einen Gefangenenaustausch geredet.

Einen Tag später riefen der französische Präsident Emmanuel Macron und der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz im Kreml an. Sie sprachen 80 Minuten mit dem russischen Kriegstreiber. Die beiden westlichen Staatsmänner forderten einen Waffenstillstand.

"Hört endlich auf, mit Putin zu telefonieren!", das hatte die estnische Premierministerin Kaja Kallas schon vor zwei Wochen ihren Amtskollegen zugerufen. Und dann legte ihr Landsmann Marko Mihkelson, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im estnischen Parlament, noch nach: Scholz und Macron seien "hirntot".

Der Streit um die Telefongespräche zeigt den Riss, der durch die EU geht. Da bröckelt langsam die demonstrative Einigkeit. Die Kollateralschäden des Krieges, die Nahrungsmittelkrise, die Inflation, die Energiepreise werden zu groß. Zwar gilt noch das Diktum, wonach nur die Ukraine die Kriegsziele bestimme.

Eigentlich aber stehen sich in der EU zwei Lager gegenüber: diejenigen, die auf eine schnelle Lösung drängen und dafür Gebietsabtritte der Ukraine in Kauf nähmen; und diejenigen, die Russland eine empfindliche Niederlage wünschen, um den Aggressor kaltzustellen.

Die Trennlinie verläuft vor allem zwischen der alten EU und den "neuen" Mitgliedsstaaten. Das Baltikum, die Polen, sie haben den sowjetischen Hegemonen in leidvoller Erinnerung. Die einen wollen die Gesprächskanäle offen halten, die anderen fordern schweres Waffengerät für die Ukraine. Die USA, die die meisten Waffen liefern, stehen dazwischen.

Und Österreich? Hier wusste Nehammer das Gespräch innenpolitisch zu verkaufen. In Russland machte derweil die staatlich gelenkte Nachrichtenagentur Ria Novosti mit seinem Telefonat mit Putin auf.

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