NACHSPIEL

Die Kulturkritik der Woche

Oligarchin mit Herz: Warum die spendable Heidi Horten sich die Sympathien vieler Österreicher erwarb

Matthias Dusini
Feuilleton, FALTER 24/22 vom 15.06.2022

Wenn es nach dem Kunsthistoriker Wolfgang Kemp geht, war die dieser Tage verstorbene Heidi Horten (siehe auch Seite 31) eine vom Klischee abweichende Oligarchin. Kemp nennt maßlose Gier und eine Vorliebe für prunkvollen Kitsch als Kennzeichen (russischer) Oligarchen. Auf die am Wörthersee lebende Witwe des Unternehmers Helmut Horten (1909-1987) trifft die Beschreibung nur bedingt zu.

Anders als die Günstlinge russischer Präsidenten fiel Horten nicht durch besondere Skrupellosigkeit auf. Sogar als die Kärntnerin mit Stiftungsvermögen in der Schweiz die ÖVP mit fast einer Million Euro bedachte, wirkte das nicht wie ein Korruptionsversuch, sondern wie die Spende an ein Tierheim. Mit Oligarchen wie Roman Abramowitsch teilte Goëss-Horten nur den Hang zum Neo-Rokoko und den Willen zur Jacht. Bei der Venedig-Biennale wetteiferte ihre "Carinthia" regelmäßig mit schwimmenden, unter russischer Flagge fahrenden Luxusvillen. So wie Abramowitsch mit seinen Milliarden einen englischen Fußballclub förderte, unterstützte die Lokalpatriotin den Eishockeyclub KAC mit Millionen.

Anders als die in den 1990ern durch üble Machenschaften reich gewordenen Milliardäre aus Moskau arbeitete Goëss-Horten die Ursprünge ihres Vermögens auf. Kurz vor ihrem Tod gab sie bei einem Historiker eine Studie in Auftrag, die die Geschäfte ihres Mannes in der Nazizeit untersuchte. Die Analyse kam zu dem Ergebnis, dass Horten sein Imperium zwar der Zwangssituation jüdischer Firmeneigentümer verdankte, dabei aber kulant vorging. Die Formulierung vom "fairen Ariseur" macht seither die Runde. Heidi Horten wird ebenfalls mit einem Oxymoron in die Geschichte eingehen: die nette Oligarchin.

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