„Ich bin ins Burgtheater pubertieren gegangen“
Dieser Tage begeht die Grande Dame des heimischen Feuilletons ihren 80. Geburtstag. Wir besuchten Sigrid Löffler in Berlin und sprachen mit ihr über bleierne und aufregende Zeiten, erlahmende Begeisterung und nicht nachlassende Neugierde

Foto: gezett.de
Sigrid Löffler wohnt in Berlin-Schmargendorf, und das ist von Berlin Alexanderplatz eigentlich schon ein Tagesausflug. Dies wissend, hat sich der Gast aus Wien fix vorgenommen, pünktlich zu sein und davor schon einmal die herausragenden Sehenswürdigkeiten Schmargendorfs zu erkunden. Die Fragen nach ebendiesen löst bei der Wahlschmargendorferin allerdings eine gewisse Betretenheit aus, denn Schmargendorf sei, wie sie per Mail wissen lässt, „ein glorifiziertes bürgerliches Altersheim: alle zehn Meter eine Apotheke, alle fünfzehn Meter ein Optiker und alle zwanzig Meter ein Laden für Hörgeräte. Alle hundert Meter ein Bestattungsinstitut, nicht zu vergessen.“ Der Gast aus Wien, der um die Affinität der studierten Anglistin für trockenen britischen Humor weiß, muss nach Augenschein schnell einsehen, dass der vermeintliche Sarkasmus von nachgerade fotorealistischer Präzision ist. Eine halbe Stunde zu spät kommt er außerdem.
Bevor sie 1999 nach Berlin zog, hatte Löffler als Leiterin des Feuilletons der Zeit einige Jahre in Hamburg gelebt. Leicht war das nicht, denn: „Wenn man nicht in der vierten Generation Reeder ist, wird man in Hamburg nicht akzeptiert. Die sind sehr hochmütig, hermetisch und sich selbst genug.“ Der Wechsel innerhalb Deutschlands fiel ihr dann entsprechend leicht: „Berlin ist eine proletarische Stadt, die sind offen. Und es gibt ja auch keine echten Berliner, hier kommt ja fast jeder von anderswo.“
Die Option einer Rückkehr nach Wien stand kurz im Raum, aber Löfflers Mann war dagegen: „Er meinte, dass es einem die Wiener nicht verzeihen, wenn man weggegangen ist, und das stimmt. In Wien hätte ich es sicher schwer gehabt, während hier die Angebote nur so hereingerauscht sind.“ Heute schreibt Löffler als „Freie“ unter anderem für die Süddeutsche Zeitung, arbeitet vor allem fürs Radio. Die muPRO-App auf ihrem Smartphone – quasi ein Kollateralgewinn der Pandemie – erlaubt es ihr, ihre Beiträge quasi in Studioqualität von zuhause aus zu liefern.