Verlernen wir das Lesen?
Buch auf die Seite, Handy in die Hand. Wird unsere Aufmerksamkeitsspanne zu kurz für lange Texte? Die Forschung gibt spannende Antworten

Illustration: Vinz Schwarzbauer
Wer im viktorianischen England etwas auf sich hielt, hatte stets einen Tripledecker dabei. Dabei handelte es sich nicht um das berüchtigte Kriegsschiff, sondern um einen Roman. Im England des 19. Jahrhunderts waren 900-Seiten-Wälzer en vogue. Die Verlage druckten sie in drei Teilen. Damit waren sie nicht nur besser lesbar, sondern erzeugten auch mehr Profit.
Dass Autoren wie Walter Scott beauftragt wurden, 900 Seiten lange Geschichten zu schreiben, ist zwei Jahrhunderte später als Geschäftsmodell kaum vorstellbar. Wer liest noch so viel? Können wir uns überhaupt lang genug konzentrieren?
In den vergangenen zwei Jahrzehnten hat die Digitalisierung unser Leben rasant verändert. Vielen macht das Angst. Zwar ist eine enorme Anzahl an Studien zu Fragen rund um Digitalisierung und kognitive Fähigkeiten erschienen, aber immer noch gibt es wenige eindeutige Antworten auf eine existenzielle Frage: ob wir die wichtigste menschliche Kulturtechnik verlernen – das Lesen. Immer schwieriger wird es für Forscher, Kontrollgruppen zu finden: Die Zahl der Menschen, die ohne Internet leben, nimmt dramatisch ab.